Literaturkritiker wird 90 Eine Ausstellung "Für Marcel Reich-Ranicki"

Frankfurt/Main (RPO). "Für Marcel Reich-Ranicki" heißt die Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt. Der so Geehrte zeigte sich tief gerührt. "Es ist nicht zu fassen: Ich bin tatsächlich 90 Jahre alt geworden. Es war anstrengend, sehr, sehr anstrengend, aber irgendwie hat es sich gelohnt", sagte der bekannteste Literaturkritiker in Deutschland. Eigentlich ist es erst am Mittwoch so weit.

Reich-Ranickis Leben
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Reich-Ranicki blickte in seiner kurzen, spontanen Rede bei der Feier zur Eröffnung der Ausstellung in der Dependance Judengasse auf seine Jahre im Warschauer Getto während des Zweiten Weltkriegs zurück. Im Vergleich zu den Juden, die aus dem Getto entkommen seien und sich verstecken mussten oder in die Vernichtungslager deportiert worden seien, sei das Leben dort "einigermaßen erträglich" gewesen. "Doch wir haben uns oft gefragt: Werden wir überleben? Dann dachten wir, wir werden vielleicht 50, 60 Jahre alt."

Auch die Stücke aus dem musikalischen Rahmenprogramm bei der Eröffnungsfeier, einem Streichquartett von Ludwig van Beethoven und einem Klarinettenquintett von Carl Maria von Weber, erinnerten Reich-Ranicki an seine Zeit im Getto. "Wir haben das damals oft gehört", sagte er merklich bewegt. Beim Gang durch die Ausstellung wurde der am 2. Juni 1920 im polnischen Wloclawek Geborene dann an sein Wirken als Literaturkritiker erinnert.

Das Jüdische Museum zeigt 45 Bücher mit persönlichen Widmungen der jeweiligen Autoren ("für Marcel"), darunter Heinrich Böll, Erich Kästner, Ingeborg Bachmann, Joachim Fest und Arthur Miller. Die Zeilen der berühmten Schriftsteller zeugen allesamt von hoher Achtung vor dem Urteil des Kritikers. Anhand von eigenen Zitaten und Ausschnitten aus der bekannten Fernsehsendung "Das literarische Quartett" wird Reich-Ranickis Selbstverständnis als Literaturkritiker erhellt.

Kritikerkollege Hellmuth Karasek sagte bei der Eröffnungsfeier über Reich-Ranicki: "Er ist als Kritiker nicht nur gnadenlos, sondern auch gnadenlos gerecht in seiner Liebe." So bewundere der Jude Reich-Ranicki die Musik des Komponisten Richard Wagner trotz dessen Antisemitismus.

Karasek bescheinigte Reich-Ranicki, mit dem "Literarischen Quartett" als einer unterhaltsamen Debattierrunde über Bücher "Fernsehgeschichte" geschrieben zu haben. Seine beliebten und oft spektakulären Verrisse und Lobpreisungen von Büchern entsprangen "nicht Selbstherrlichkeit, nicht Selbstgerechtigkeit, sondern dem großen Selbstbewusstsein eines Kritikers". Reich-Ranicki habe sich wie der berühmte Berliner Theaterkritiker aus den 1920er Jahren, Alfred Kerr, stets als "Anwalt der Leser" verstanden, sagte Karasek: "Ich wünsche uns noch lange Reich-Ranicki."

Für das Museum ist Reich-Ranicki bereits zum dritten Mal Thema, nachdem frühere Schauen Gemälde seiner Frau Teofila aus dem Warschauer Ghetto und Porträtbilder von Schriftstellern aus der Sammlung Reich-Ranickis zeigten. Die Ausstellung "Für Marcel Reich-Ranicki" ist bis 5. September zu sehen.

(DDP/pst)
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