Meister des Horrors Edgar Allan Poe wird 200

Düsseldorf (RP). Der berühmteste Refrain der amerikanischen Literatur besteht aus nur einem unheilkündenden Wort: "Nevermore". Und der, der dieses Nimmermehr auf jede Frage des Erzählers krächzt, ist ein Rabe, ein unheimlicher Gast zu mitternächtlicher Stunde. Das Langgedicht "The Raven" von 1845 ist bis heute die erfolgreichste Dichtung von Edgar Allan Poe, ein Manifest der Hoffnungslosigkeit.

 Zum 200. Geburtstag von Edgar Allan Poe gibt es zahlreiche Neuerscheinungen im Buchhandel.

Zum 200. Geburtstag von Edgar Allan Poe gibt es zahlreiche Neuerscheinungen im Buchhandel.

Foto: ddp, ddp

Glaubt man Poe, der vor 200 Jahren, am 19. Januar 1809, in Boston geboren wurde, war das Poem keineswegs ein Resultat dichterischer Intuition, sondern reine Berechnung, vornehmer formuliert: eine Frage der Komposition. Zuerst habe er nach einem melancholischen Grundton gesucht, dann das "Nevermore" als Refrain bestimmt und schließlich nach dem traurigsten und poetischsten Thema überhaupt gesucht. Das konnte für Poe nur eins sein: der Tod einer schönen, jungen Geliebten.

Natürlich hat Edgar Allan Poe dabei seine eigene Lebens- und Leidensgeschichte im Sinn gehabt: Seine Mutter starb in jungen Jahren ebenso wie seine Pflegemutter, und seine Cousine Virginia, die er als 13-jähriges, elfenhaftes und tuberkulöses Mädchen heiratete, erlebte nur 24 Jahre. Das war 1847, zwei Jahre vor Poes eigenem Tod in Baltimore, wo man ihn in einem hilflosen, verwahrlosten Zustand in der Gosse aufgelesen hatte.

Häufige Alkoholexzesse

Es war das traurige Ende eines traurigen Lebens, in dem sich Poe zumeist als Lohnschreiber diverser Magazine und als Vortragender über Wasser hielt, der oft in Alkoholexzesse abstürzte und sich zuletzt in einen mickrigen Cottage in Fordham vor den Toren New Yorks zurückgezogen hatte. Dieses Leben stand im schreienden Gegensatz zur literarischen Größe dieses Schriftstellers. Er gilt heute als Ahnherr der modernen Lyrik und der Science Fiction, vor allem als Großmeister des Horrors und Erfinder der Detektivgeschichte.

Ohne Poes Privatermittler C. Auguste Dupin aus Paris wären Arthur Conan Doyle und Sherlock Holmes kaum denkbar. Dupin ist der große Rätsellöser, der in der Geschichte "Der entwendete Brief" lang und breit seine analytische Methode — sogar mit Formeln — erklärt. Als ein rationaler Aufklärer ist Dupin das Vorbild Edgar Allan Poes, der die Geschichten bezeichnenderweise unter dem Titel "Tales of Ratiocination" versammelte. Denn all die Geheimnisse des Lebens sollten mit den Zauberwaffen der Logik lösbar sein. Am Ende konnte es nur einen Triumphator geben: den Verstand.

Edgar Allan Poe hat sich beim Enträtseln nicht mit den Ermittlungen des Herrn Dupin begnügt. In seinem Werk "Eureka" widmet er sich 1848 tollkühn der Entstehung und dem Sinn des Universums. Erstaunlicherweise gelangt der Dichter darin zu Thesen, die der Urknall-Theorie nicht allzu fern sind.

Von diesen Ausflügen in die Weltdeutung — Zeitgenosse Goethe hat sich mit seinem "Faust" ums gleiche Thema dichterisch bemüht — weiß der Leser heute wenig. Edgar Allan Poe hat als Gruselautor überlebt, als Dichter einer pechschwarzen Romantik. Und die ist später gern und oft für andere Werke dienstbar gemacht worden, so für das von der Band Alan Parsons Projects produzierte Album "Tales of Mystery and Imagination".

Aber auch die Geschichten wie "Das verräterische Herz", "Der Untergang des Hauses Usher" oder "Die Grube und das Pendel" sind Obsessionen und Grenzüberschreitungen, sind Erkundungen im Niemandsland zwischen Leben und Tod. In ihnen wird nicht die Welt im Großen erforscht, sondern diesmal die dunkle Ecke im Hinterstübchen unserer Phantasie.

Von nichts anderem handelt auch "Der Rabe", der ja gar nicht der große Weissager ist. Er kann bloß "Nevermore" sagen, immer und immer wieder und gar nichts anderes. Der Erzähler ist es, der eine furchterregende Frage nach der anderen stellt und dieses "Nevermore" fast schon erwartend in Empfang nimmt. Das eigentlich Düstere also liegt geradewegs in uns. Das aber macht den Horror nicht geringer.

Info Zum 200. Geburtstag sind etliche Poe-Titel neu erschienen — u.a.: "Werke in vier Bänden". Insel, 198 Euro; "Detektivgeschichten". dtv, 8,90 Euro; "Die schönsten Erzählungen". Aufbau, 14,95 Euro; "Sämtliche Erzählungen". Vier Bände, Insel, 19,90 Euro; sowie die Biografie "Edgar Allan Poe" von Hans Dieter Gelfert. Verlag C.H. Beck, 19,90 Euro

(RP)
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