Ruhr 2010 Der Pott als Metropole

Essen (RP). Mit Essen als künftiger Kulturhauptstadt soll endlich ein Gemeinschaftsgefühl im Ruhrgebiet wachsen. Allerdings ist das Budget für die große Ruhr-Vision mit 52 Millionen Euro bislang nicht gerade üppig. Zumindest gibt es schon eine Orientierungsmarke: Zeche Zollverein.

Essen - Kulturhauptstadt 2010
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Foto: Essen Marketing GmbH/Peter Wieler

Die Landkarte pflastert die gesamte Stirnwand des Raumes. Darauf das Ruhrgebiet, ein ausgefranster grau-grüner Flickenteppich. Ein Wirrwarr aus Schnellstraßen, Stadtgrenzen, ein Ballungsraum ohne Zentrum. Aber Oliver Scheytt sieht etwas ganz anderes. "Eine werdende Metropole."

Scheytt ist Geschäftsführer der Ruhr 2010 GmbH und damit oberster Organisator eines Ereignisses, das nach dem Willen seiner Macher das Industrierevier neu definieren soll: In zwei Jahren wird das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas. Und dann, so schwebt es Scheytt vor, soll die Welt endlich begreifen, wie toll es an Ruhr und Emscher ist.

Aus der großen Landkarte ragen zwei Dutzend bunte Stecknadelköpfe. Sie markieren die Orte, wo Fritz Pleitgen schon die Werbetrommel für das Mega-Projekt gerührt hat. Denn die Ruhr-Visionäre sind etwas klamm. Mit bisher knapp 52 Millionen Euro ist ihr Budget nicht gerade üppig.

Doch die Gespräche mit den potenziellen Geldgebern, vorzugsweise Konzerne mit Ruhr-Stallgeruch, gestalten sich zäh. Immerhin, fünf Firmen, darunter der Essener Platzhirsch Eon Ruhrgas, hat Scheytt so weit, dass sie jeweils zwei Millionen Euro zuschießen wollen. Drei weitere könnten dazu kommen. Einstweilen rechnet Scheytt die Kassenlage ein bisschen schöner. "Wenn man die Beiträge aller beteiligten Kulturstätten im Ruhrgebiet zu unserem Programm mit einrechnet, dann bewegen wir mehr als 300 Millionen Euro."

Dabei ist das liebe Geld nicht einmal das größte Problem der Kulturhauptstadt-Manager. Sie kämpfen damit, dass sie alles ganz anders machen wollen. Deswegen treten den Kulturhauptstadt-Propheten immer wieder Zweifler entgegen. Vor allem Feuilleton-Redakteure nörgeln nach Scheytts Empfinden zu viel an seinen Plänen herum. "Die verstehen einfach nicht, dass wir keine klassische Festivalveranstaltung planen", klagt Scheytt.

"Es ist eine Utopie", gibt Scheytt zu. In dieser Vorstellung besiedeln Kreativ-Migranten brachliegende Stadtviertel, entstehen blühende Kulturlandschaften, finden Bewohner unterschiedlicher Herkunft friedlich zusammen. Und am Ende entsteht das große Gemeinschaftsgefühl im Ruhrgebiet, das man den Menschen hier in all den Jahren nicht hat einbläuen können. "Immer noch sind die eigene Stadt, das Viertel, der Taubenzüchterverein für die Identität viel wichtiger als die Region", sagt Scheytt. "Die Menschen schotten sich ab." So kann keine Metropole wachsen.

Weil aber auch schöne Utopien nur schwer zu verkaufen sind, gibt es zum Kulturjahr auch Handfestes. Vorhandene Kulturstätten wie das Essener Museum Folkwang werden massiv ausgebaut. Im Schatten markanter Bauwerke werden fünf "Besucherzentren" entstehen, in Essen, Duisburg, Oberhausen Bochum und Dortmund. Der rostrote Förderturm der Essener Zeche Zollverein, 2001 von der Unesco in den Rang einer Kathedrale der Industriekulturerbes erhoben, soll dem Besucher als Orientierungsmarke dienen. "Auch ein schönes Motiv für die Prospekte der Reiseveranstalter", bemerkt Scheytt ganz pragmatisch.

Die knappen Millionen sollen nicht nur für ein paar spektakuläre Mega-Events abgefackelt werden. Scheytt und seine Leute wollen vorwiegend Vorhandenes bündeln, vernetzen, wie aus Lego-Steinen ein neues Ganzes bauen. Das große Jahr soll von unten wachsen und nicht von oben aufgestülpt werden.

Damit macht man sich nicht nur Freunde. Nach einem Ideen-Aufruf setzte ein kreativer Ansturm ein: Über 2000 Projektvorschläge aus der Region wurden in Essen gesammelt. "Vieles davon ging bis in Heilserwartungen hinein", so Programmkoordinator Jürgen Fischer.

Erwartungen, die nicht eingelöst werden konnten. 90 Prozent der Vorschläge mussten abgelehnt werden. Offiziell werden diese Projekte nicht gekippt, sondern zur Realisierung in die Städte zurückgegeben, aus denen sie stammen. Aber dort fehlt meist das Geld. 41 der 53 beteiligten Ruhrgebietskommunen sind hoch verschuldet und unterliegen der Haushaltssicherung. "Aber selbst dort gelingt es häufig, Geld zusammen zu kratzen", hofft Scheytt auf die Kreativität der Stadtkämmerer. In vielen der 53 lokalen Kulturhauptstadt-Büros kann alles Engagement den Mangel jedoch nur schlecht ersetzen. Das hat viel böses Blut gegeben.

Einige der am Ende ausgewählten Projekte hat Scheytt schon enthüllt, um andere wird noch ein Geheimnis gemacht. Damit nicht der Eindruck entsteht, 2010 wolle die Bildungselite mal wieder unter sich feiern, wurden bisher vor allem "massenattraktive Veranstaltungen" (O-Ton Pleitgen) beworben. Darunter die Vollsperrung der A40 und die zeitweilige Umwandlung der tristen Hauptverkehrsader in eine vergnügte Volksfestmeile.

Aber es wird auch Klassischeres geboten wie ein Schauspielzyklus zum Thema "Odyssee Europa" oder Originelles wie die Aktion "Jedem Kind ein Instrument", in deren Rahmen alle Grundschüler im Ruhrgebiet bis 2010 musizieren lernen sollen. Noch wirkt "Ruhr 2010" wie ein Flickenteppich. Bunter als die große Landkarte in Pleitgens Büro. Aber genauso verwirrend. Im Oktober wollen die Strippenzieher der Kulturhauptstadt ihre Karten auf den Tisch legen. Dann müssen sie überzeugen, sonst wird es wohl nichts mit dem großen Elan.

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