Anneliese Rothenberger ist tot Das Mädchen aus der Weißblechfabrik

Basel (RP). Sie war das Mädchen aus der Weißblechfabrik. Es war Krieg, sie musste Dosen fertigen, aber sie hatte einen Traum im Herzen: Sängerin werden. Schon mit 17 Jahren hatte sie in Koblenz auf der Bühne gestanden, und als endlich Frieden war, ging der Traum in Erfüllung.

 Im Oktober 2003 nahm Anneliese Rothenberger noch den Echo Klassik entgegen.

Im Oktober 2003 nahm Anneliese Rothenberger noch den Echo Klassik entgegen.

Foto: ddp, ddp

Günther Rennert holte sie an die Hamburgische Staatsoper, es gab Verdis "Maskenball", und das Mädchen aus der Weißblechfabrik sang den Oscar, den Pagen bei Hof, eine zwitschernde, kapriziöse, hohe Partie, für die man einen leicht anspringenden, nicht mundfaulen Sopran brauchte. Die junge Anneliese Rothenberger hatte ihn. Sie war 20 Jahre alt und eins der vielversprechendsten Gesangstalente, die Nachkriegsdeutschland zu bieten hatte.

Die Rothenberger war stets eine Diva auf Augenhöhe. Ihre musikalische Kapazität war enorm, von ihrer Zdenka (in Strauss' "Arabella") an der Metropolitan Opera erzählen steinalte New Yorker noch heute, dort gab sie auch Musetta (neben Renata Tebaldi und Franco Corelli) oder Susanna (neben Lisa della Casa). Schon in den fünfziger Jahren hatte sie transatlantische Opernerfahrungen gesammelt und war sogar im amerikanischen Fernsehen aufgetreten. Das US-Publikum gewann das Fräulein aus Deutschland sogleich lieb.

Wo immer sie auftrat (auch an der Rheinoper), hatte Rothenberger die Herzen auf ihrer Seite: Sie verband Charme mit Kompetenz, Bescheidenheit mit Virtuosität. Selten hat sie sich auf die faule Haut gelegt; es gibt die Anekdote, dass man in manchen Jahren im Terminkalender der Rothenberger verzweifelt nach weißen Stellen Ausschau halten konnte. Ihr Ehemann war auch ihr Manager, verliebt in alles an ihr — auch in ihre Stimme.

Beinharte Stimmfreaks warfen der Rothenberger bisweilen vor, sie habe ihr Talent an die leichte Muse verschwendet. Das war eine Sottise aus dem Waffenschrank der Neider. Die Rothenberger war so vielseitig begabt, dass sie sozusagen gleichzeitig in adretten Musikfilmen auftreten, die kichernde Adele in der "Fledermaus" geben und als Alban Bergs sphinxhafte Lulu die Männer um den Verstand vampen konnte.

Doch immer war sie eine Dame, und so hieß ihre berühmte ZDF-Serie völlig zu Recht: "Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre". Jetzt ist die Künstlerin 83-jährig in Salenstein am Bodensee gestorben. Die Musikwelt hat heute eine Träne im Knopfloch.

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