Ausstellung in Wiesbaden Chillidas leichte Formen aus Stahl

Wiesbaden · Eduardo Chillidas Großskulptur vor dem Bundeskanzleramt ist eines der meistfotografierten Kunstwerke der Republik. Wiesbaden bietet nun einen Überblick über sein Schaffen.

Die Kunst des Basken Eduardo Chillida (1924-2002) ist den meisten bekannt, ohne dass sie es ahnen. Fast täglich erscheint seine stählerne, mehr als 40 Tonnen schwere Großskulptur „Berlin“ aus dem Jahr 2000 als Hintergrund in den Nachrichtensendungen des Fernsehens. Zwei abstrahierte Hände nähern sich, ohne einander zu berühren. Mancher glaubt darin ein Symbol der deutschen Wiedervereinigung zu erkennen, doch Chillida selbst hat sich so konkret nicht geäußert. Sein Thema ist hier wie auch in zahlreichen anderen seiner Arbeiten „Nähe und Distanz“. In einer umfangreichen Ausstellung des Museums Wiesbaden begegnet man dieser Großplastik im Kleinformat.

Chillida zählt zu den wenigen Künstlern, die gerade in Deutschland immer eine gute Presse hatten. Schmähungen wie im Falle Picassos blieben ihm zeitlebens erspart, stattdessen rühmten Kritiker allenthalben die Leichtigkeit, die er schweren Materialien wie Stahl und Beton abgewann. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass seine bekannteste Plastik das Machtzentrum der Bundesrepublik Deutschland zieren darf – eine Leihgabe aus privater Hand, die als Schenkung an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ging und von dort als Dauerleihgabe ans Kanzleramt.

Warum Chillidas Werke hierzulande so starken Anklang finden, darauf gibt der Leiter des Museums Wiesbaden, Alexander Klar, im Katalog eine Antwort: „Es ist die bedeutendste Leistung Eduardo Chillidas, nach 1945 das Genre der Monumentalskulptur wieder mit einer menschlichen Dimension ausgestattet zu haben.“ Nach der Epoche der seelenlosen Gestalten eines Arno Breker, Hitlers Lieblingsbildhauer, war das bitter nötig und einer Demokratie angemessen.

Chillida war ohnehin ein Freund des geistigen Deutschlands. Er mochte die Romantiker, Novalis vor allem, dazu die Kompositionen von Händel und Bach, die Mystik und, na ja, allerdings auch den umstrittenen Heidegger.

In Wiesbaden kann man verfolgen, wie in seinem Werk schon früh die Leichtigkeit, das Schwebende seiner ungegenständlichen Formen als Markenzeichen hervortrat. Arbeiten auf Papier beherrschen den ersten Saal. In den folgenden Räumen tritt die Plastik in den Vordergrund. Der Raum wurde sein Thema. Dazu mochte auch das Architekturstudium beigetragen haben, das er in Madrid seinem Kunststudium vorausgeschickt hatte, bevor er sich in Paris ein Atelier einrichtete. „Architekt der Leere“, so nannte er sich, und so lautet auch der Titel seiner gegenwärtigen Schau. Aus der Leere ließ er seine Formen erwachsen. Die versetzten die Leere in Schwingungen, gaben ihr einen Rhythmus. Die Musik liegt da nicht fern. Formen umspielen einander, greifen ineinander über.

Selbst jener dreibeinige stählerne „Tisch des Architekten“ von 1984, der den Mittelpunkt eines der Säle bildet, wirkt durch die Öffnungen in der Platte leicht. Dabei wiegt er 2,5 Tonnen. Das Museum Wiesbaden hat sich darauf eingestellt, indem es seine Statik verstärkte. Unter solchen Schwergewichten der Ausstellung wurden im darunterliegenden Stockwerk Stützen eingesetzt.

Zu den anmutigsten Stücken der Schau zählen Arbeiten aus Alabaster, einem Material, das Rhythmus bereits in seiner Maserung trägt. Im Übrigen hat Chillida Skulpturen auch aus Beton gegossen.

Immer wieder begegnet man im Kleinformat plastischen Werken, deren große Originale man schon einmal gesehen hat. Zum Beispiel einem wachtturmähnlichen Gebilde, das auf der ehemaligen Raketenstation nahe der Neusser Kunstinsel Hombroich eine Landmarke setzt, oder seinem Hauptwerk „Windkämme“, das er in einer Bucht seiner Geburtsstadt San Sebastián auf Felsen installierte und der Gemeinde schenkte – riesige rostige Bögen im Klang des Eisens, des Windes und der See. Bereits 1951 hatte sich Chillida mit seiner frisch angetrauten Pilar de Belzunce in seine Heimat zurückgezogen. Von dort belieferte er vier Documenta-Ausstellungen sowie Retrospektiven seines Werks in New York, Bonn, Münster, Berlin und Frankfurt am Main.

Das Einzige, das in Wiesbaden fehlt, ist eine Kleinskulptur als Hinweis auf Chillidas erste in Deutschland aufgestellte Plastik: „Momento“, die 65 Tonnen schwere Skulptur aus Stahl vor dem Dreischeibenhaus in Düsseldorf. Sie gilt als Erinnerung an die Zeit, als Düsseldorf noch als „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ galt. Ihr heutiger materieller Wert beläuft sich auf mehrere Millionen Euro.

Der letzte große Raum der Ausstellung fasst Chillidas Lebenswerk zusammen. Arbeiten aus Alabaster oder Granit treffen sich dort mit einem großen Wandbild aus Beton und Collagen sowie anderen Arbeiten auf Papier. Noch einmal tritt den Betrachtern dort vor Augen, dass Chillida figürlich begonnen hatte, bevor er einer der großen Gegenstandslosen der modernen Kunst wurde – ein Gegenstandloser, dessen Werk doch ganz aus dem Leben fließt.

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