Düsseldorfer Künstler Felix Droese Der Traum von der Waffenlosigkeit

Vor 30 Jahren vertrat Felix Droese die BRD auf der Biennale in Venedig. Nun sinniert der Beuys-Schüler über die veränderte Welt.

 Felix Droese (68) in seinem Atelier vor einer alten Schulwandkarte Asiens, mit schwarzen Übermalungen aus seiner Hand. Titel dieser Arbeit: "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt", nach einem Ausspruch des früheren Verteidigungsministers Peter Struck.

Felix Droese (68) in seinem Atelier vor einer alten Schulwandkarte Asiens, mit schwarzen Übermalungen aus seiner Hand. Titel dieser Arbeit: "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt", nach einem Ausspruch des früheren Verteidigungsministers Peter Struck.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Weltweit erregte Felix Droese Aufsehen, als er 1988 den deutschen Pavillon der Kunst-Biennale in Venedig zum „Haus der Waffenlosigkeit“ erklärte. Monumentale Scherenschnitte, Papierreliefs und ein massiger Holzrahmen auf Scheiben eines Eichenstamms forderten die Kunstwelt wieder einmal zum Enträtseln auf. Droese, der Beuys-Schüler, half nach: Es gehe um Gegenkräfte. Kraft habe nicht nur, wer Waffen besitze, sondern auch, wer sich etwas vorstellen könne. Diese Kraft der Vorstellung und der Fantasie wolle er in seinem friedlichen Haus der Waffenlosigkeit entfesseln, in irritierenden Kraftfeldern, die sich vom herabhängenden vertrockneten Vogelkadaver bis zum Nest über der Tür erstreckten.

Das also war damals, vor 30 Jahren, der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zum friedlichen Wettkampf der Kulturen. Heute lebt Droese mit seiner Ehefrau, der Künstlerin Irmel Droese, auf einem von ihm selbst sanierten, denkmalgeschützten Bauernhof im Niederbergischen, kümmert sich um Kühe, Obst und Gemüse und selbstverständlich weiterhin um sein Künstlertum. Er habe viel Zeit, so gesteht er – zum Arbeiten in seinem großräumigen Atelier ebenso wie zum Nachdenken. Wenn er laut nachdenkt, kann daraus ein Monolog entstehen, der die Welt von heute aus ungewohnter Perspektive beleuchtet, von der Bibel, Droeses Fundament, über die Migration bis zu jenem Traum von der Waffenlosigkeit.

Ein Scherenschnitt Droeses aus dem Jahr 1981 trägt den Titel „Ich bin bereit, ohne den Schutz militärischer Rüstung zu sterben.“ War das ernst gemeint oder Zynismus? Droese nennt es eine Zuspitzung, wie sie jedem Künstler zustehe, und fügt hinzu: „1981 war man noch im Bedrohungsmodus Ost-West. Ich persönlich kann ohne Waffen leben. Das sind Gedankenexperimente, die statthaft sind, weil sie eine Sache durchspielen.“ Waffenlosigkeit ist für ihn also ein Ideal? „Ja, wenn man es nicht von der Gemeinschaft, sondern vom Individuum her betrachtet. Der Mensch als Individuum lebt waffenlos, weil er sich in seiner Natur sowieso nicht wehren kann. Er ist ja zum Untergang bestimmt. Deswegen sollte er sich frühzeitig – und das fehlt unserer Gesellschaft – eine spirituelle Zukunft erschaffen. Diese Wege werden dem Menschen zunehmend verunmöglicht: durch Verflachung, durch eine Konsumkultur, die tieferes Nachdenken nicht mehr fördert.“

Begonnen hatte unser Gespräch im Atelier mit der Frage, welches Kunstwerk Droese zuletzt hervorgebracht habe. Er verweist auf einen schwarz-weißen Holzschnitt, der vor uns auf dem Tisch liegt und auf eine Bibelstelle deutet, Jesaja 55,8: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr.“ Droese versteht das so, „dass man sich von den Geschehnissen auch distanzieren kann, und zwar ziemlich radikal“. Er denkt dabei an „Flüchtlingspolitik, Wirtschaftspolitik – alles, was Sie wollen“. Und dann stößt er zum Kern seines Denkens vor, der Frage: Haben wir nicht schon genug? Was wollen wir noch alles anhäufen?

„Der westliche Mensch“, so sagt Droese, „kommt nun in die Situation, dass er sich große Teile der Erde angeeignet hat, jetzt machtlos dasteht und zusehen muss, wie ihm das streitig gemacht wird. Wenn man bedenkt, dass angeblich 17 Milliarden Euro, die wir für Afrika ausgeben, dort in privaten Kanälen versickern, und es in Nigeria Straßen gibt, an denen Villen dadurch finanziert werden, dass man Mädchen nach Italien in die Prostitution schickt. So etwas kennt man natürllich seit Jahrtausenden. Was hier aber überrascht, ist die gespielte Naivität: ,Ach, das haben wir ja gar nicht gewusst.‘ Als wäre man nicht verantwortlich für seine eigene Zukunft!“

„Zurzeit“, so fährt Droese fort, „nehme ich an einer Gruppenausstellung in Süddeutschland teil. Dort zeige ich mein Bild ,On the Beach‘, ein bekanntes Motiv: Badegäste am Mittelmeer, es kommen Boote an, Menschen mit Adidas-Badehosen stürmen den Strand, die anderen stehen staunend da.“ Illusionslos stellt Droese dazu fest: „Völkerwanderungen haben schon immer die Gesellschaften nicht nur durchgerüttelt, sondern auch zerstört. Was mich überrascht, ist, dass hierzulande eine Generation von Mitmenschen lebt, die offenbar noch nicht einmal ,Wilhelm Meisters Wanderjahre‘ gelesen haben. Darin beschreibt Goethe eine Gesellschaft, die auswandern muss, weil sie auf den Höfen zu wenig zu essen hat und die Industrialisierung die Arbeitsplätze raubt. Zugleich wird aus dem Ausland mit dem verdienten Geld aus Amerika die eigene Wirtschaft in Thüringen und Sachsen unterstützt. Das heißt, wir kennen diese Modelle schon seit Jahrhunderten. Da wundert man sich, dass es in der Demokratie in Deutschland, auf die wir alle so stolz sind, kein Einwanderungsgesetz gibt.“

Schön und gut, aber was wäre die Lösung des Migrationsproblems? Droese erklärt: „Es muss zu einer riesigen Kraftanstrengung kommen, durch die man diejenigen Länder mit einem Programm unterstützt, die zurzeit alle Ausreisewilligen ziehen lassen. Man darf ihnen natürlich kein Geld geben, weil das gleich wieder auf einem Konto in der Schweiz landet, sondern es muss eine Zusammenarbeit angeboten werden – ähnlich wie früher VW ein Werk im jugoslawischen Sarajevo eröffnet hatte (das dann allerdings geplündert wurde). Es müssen Strukturen eingerichtet werden, sagt, die auf die jeweiligen Länder in Afrika ausgerichtet sind, also zum Beispiel nach den Fragen: Wie können wir die kleinbürgerliche Landwirtschaft unterstützen? Wie wird das umgesetzt? Wer kontrolliert das?“

Was den Umgang der Künste und auch der Medien mit Gruppen von Migranten in Deutschland anlangt, so wirft Droese ihnen vor, dass sie bestimmte Themen ausklammern. Er sagt dazu: „Die Kunst war in Europa großenteils auf der aufklärerischen Seite. Da ging es um den Begriff der Wahrheit und vor allem darum, das Unverborgene ans Licht zu ziehen. Jetzt aber soll uns plötzlich per Dekret vermittelt werden: Nein, die Verhüllung des ganzen Körpers oder des Gesichts steht diesen Frauen zu. Wir tolerieren das mal. Dagegen gibt es Widerstand, der sich nicht offen deklariert, sondern ganz versteckt in den Menschen Platz findet und nur – ich garantiere Ihnen das – darauf wartet, dass es zur Explosion kommt. Es fehlt zurzeit in Deutschland eine Schicht von Menschen, die bereit sind umzudenken.“

Droese glaubt bereits eine Absonderung der weißen Bevölkerung von der dunkelhäutigen zu beobachten: „Am Ostseestrand ist alles ganz weiß.“ Auch das zählt zu den Wahrheiten in diesem Land, vor denen man Droese zufolge nicht die Augen verschließen darf – welche Schlüsse auch immer man daraus ziehen mag.

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