Ausstellung im Museum Kunstpalast Wie der Barock die Moderne inspirierte

Düsseldorf · Im Kunstpalast haben die Kuratoren die Sammlung durchstöbert und zehnmal mit Werken der Moderne gepaart. Ein epochenübergreifender Dialog klingt in den Räumen.

In der Ausstellung zu sehen: Karl Otto Götz, „Giverny III/2“, 1987, Mischtechnik auf Leinwand, 210 x 175 cm  (Kunstpalast, Düsseldorf, Stiftung Sammlung Kemp)

In der Ausstellung zu sehen: Karl Otto Götz, „Giverny III/2“, 1987, Mischtechnik auf Leinwand, 210 x 175 cm (Kunstpalast, Düsseldorf, Stiftung Sammlung Kemp)

Foto: Museum Kustpalast/Karl Otto Götz Giverny III/2, 1987 Mischtechnik auf Leinwand 210 x 175 cm Kun© VG Bild-Kunst, Bonn, 2021 Foto: Kunstpalast - LVR-ZMB - Stefan Arendt

Jahrzehntelang schlummerte das Himmelsbild von 1693 in einem Karton in der Schublade. Zusammengeklappt wie eine Pizza Calzone war es und musste erst entblättert werden, um seinen Glanz und seine Tiefe preiszugeben. Aus sechs Teilen fügt es sich zum Rund, es stellt eine Rarität dar. Der Kupferstecher Gerard Audran hat das Motiv für ein Deckenfresko 1693 für die Pariser Kirche Val-de-Grace angefertigt. Es wurde aktuell restauriert für die neue Ausstellung und dem Künstlerraum von Karl Otto Götz zugeordnet. Welten prallen aufeinander und verschmelzen doch irgendwie. Taumelnde Körper, purzelnde Putten einerseits, total abstrakte Pinselstriche andererseits, rhythmisch, raumlos, inhaltlich aufgeladen. So regt man einen epochenübergreifenden Dialog an.

Diese Geschichte gibt es auch zum Hören - exklusiv für Sie. Abonnieren Sie jetzt unsere RP Audio-Artikel in Ihrer Podcast-App!

Der Kunstpalast begibt sich auf Entdeckungstour im eigenen Haus und gibt seinen Besuchern Anlass zum großen Staunen. „Barock modern“ ist eine Gelegenheit abzugleichen, Assoziationen zuzulassen, Querverbindungen herzustellen und sich an Kunst zu erfreuen, die viele Jahrhunderte trennt. Schätze hat die Sammlung der Düsseldorfer Bürgerschaft reichlich. Zuletzt erhielt sie das wertvolle Konvolut von Willi Kemp, der 2020 verstarb und heute im Himmel vor Freude weinen dürfte, wenn er sieht, wie man seine Helden der Moderne mit den Stars aus alten Zeiten paart.

Wie wegweisend war der Barock in seiner Zeit, und wie stark haben sich einige Künstler der Moderne nach 1950 auf den Barock bezogen? So lässt sich kurz zusammenfassen, was der Kunstpalast in Düsseldorf mit der Kombination von Barock und Moderne didaktisch anregen will. Die Überraschung ist gelungen, wenn man auf Anhieb die Konfrontation auch nicht verstehen kann.

Für ihr Spiel mit den Stilen können die Kuratoren Gundy Luyken und Daniel Cremer aus dem Vollen schöpfen. Die kunsthistorischen Strukturen von barocker Kunst werden an wundervollen Exponaten verdeutlicht und in den hinzugesetzten modernen Arbeiten subtil aufgespürt. Auf den ersten Blick funktioniert so etwas nicht, aber auf den zweiten, auch dank knapper, sehr informativer Erläuterungstafeln, die dezent in den sanft eingetönten Räumen angebracht sind.

Die zehn Helden der Moderne – neben Götz sind es Kaliber wie Gerhard Hoehme, Bernard Schultze, Hann Tier oder Dieter Roth – residieren in eigenen Räumen, in denen sie mit barocken Meister wie Agostini Carracci, Giovanni Battista Gaulli oder Hendrick Goltzius konfrontiert werden. Das Kalkül geht auf, die Bilder und Skulpturen lehren die Gemeinsamkeiten von Kunst über alle Zeiten hinweg. „Alles fließt im Barock ineinander“, sagt die Kuratorin. Manche Moderne reflektierten die Prinzipien des Barocks, Bildaufbau, Bewegung, Lösung der Körper, viele spielen auf Vanitas-Motive an. Im Barock löste sich die statische Sicht auf zugunsten von Bewegung im Motiv.

So greift Dieter Roth das Thema von Zeit und Vergänglichkeit in seinen berühmten Materialbildern auf, in dem er beispielsweise 1971 Weichkäse auf Karton verarbeitete. Hann Trier liebte die pastelligen Töne und verwebt sie auf seinen Aquarellen. Gotthard Graubners Farbkissen vergrößern das Bildvolumen in den Raum, Otto Piene erobert den Himmel mit seiner Sky Art und knüpft gewissermaßen an barocke Feuerwerke an. Bernard Schulze zu Beginn und am Ende des Parcours liefert mit seiner übergroßen Experimentierfreude vielschichtige verträumte Skulpturen und Bilder.

Der einzige, Pardon, die einzige noch lebende Künstlerin dieser Ausstellung ist Dorothy Iannone, eine Amerikanerin, die einst mit Dieter Roth eine große Liebe verband, derentwegen sie aus Boston nach Düsseldorf übersiedelte und hier freizügige Tableaus von Liebe, Leidenschaft und Leben zeichnete. Dazu gab es reichlich Material im Barock, wenn auch undeutlicher. Ein Kuriosum in der Ausstellung: die „Singende Box“, in der Iannone Musik – natürlich Lovesongs – konserviert, die leise die Ausstellung berieselt. Von Niki de Saint Phalle hat der Sammler Kemp nur ein einziges Exponat besessen und hinterlassen, eine Zeichnung der „Nana“-Erfinderin, die indes eine persönliche Liebestragödie nacherzählt. Selbstverständlich finden sich dazu wieder reichlich Pendants aus dem Barock, wenn auch mit verschlüsselteren Botschaften.

Mit der Ausstellung „Barock modern“ ist eine wundervoll konfrontative Nacherzählung der sehr alten wie der allerjüngsten Kunstgeschichte gelungen. Vor allem die Qualität der Exponate überzeugt. Dass dem 2020 verstorbenen Sammler Willi Kemp ein eigener Raum gewidmet wird, erzählt ganz aktuell vom Leben mancher Menschen, die ohne Kunst nicht sein können. Die Werke, die im Kemp-Raum neben Vitrinen mit Archivalien aufgehängt sind, kann man im abgedunkelten Raum live in der Wohnung des Sammlers erleben. In einem stummen Videofilm fehlt nur der Protagonist, dem so vieles zu verdanken ist. Über seinem Sofa hing eine schwarz-weiße Balkenarbeit von Ellsworth Kelly, um die Ecke ein Gemälde von Cy Twombly, und auf dem Weg zur Gästetoilette begegnete man einer Skulptur von Beuys, die verloren in der Ecke stand.

Auch das ist ein Teil Kunstgeschichte, die immer von Menschen geschrieben und fortgeschrieben wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort