Ungewöhnliche Ausstellung Der letzte Ort für Kunst

Bottrop · Der Düsseldorfer Akademieprofessor Gereon Krebber eröffnet eine Ausstellung im Bottroper Impfzentrum. Eine Idee auch für andere Städte?

 Der Künstler Gereon Krebber will mit seinen Skulpturen in der weitläufigen Halle die Besucher „vor den Kopf stoßen“, wie er sagt.

Der Künstler Gereon Krebber will mit seinen Skulpturen in der weitläufigen Halle die Besucher „vor den Kopf stoßen“, wie er sagt.

Foto: H. Meister/Helga Meister

Das Museum ist momentan notgedrungen ein schlafender Ort. Das heißt aber nicht, dass auch die Kunst schläft. Der Düsseldorfer Akademieprofessor Gereon Krebber (48) hatte eigentlich eine Ausstellung im Bottroper Kulturzentrum B12 geplant, die wegen Corona verschoben wurde. Da entstand die Idee, eine freie Fläche im neuen Impfzentrum Bottrop mit seinen Skulpturen zu bespielen. Vorher als Indoor-Golfcenter genutzt, war das ehemalige „Putting Green“ für medizinische Zwecke untauglich und aus hygienischen Gründen mit Plane abgedeckt. Eigentlich ein idealer Ort, denn dort gelten die Bestimmungen für zu schließende Ausstellungshäuser nicht. Die Stadt zeigte sich offen, fand die Idee gut. Natürlich hatten Polizei und Feuerwehr das Sagen, Entflammbares musste entfernt werden. Aber man machte einen Vertrag. Nun ist pünktlich zum Start der Impfungen am 1. Februar auch die Vernissage. Die Idee könnte Schule machen.

Kurzentschlossen baute Krebber seine Skulpturen auf, wobei er die vorhandene Plane mit bunten Klebebändern locker gestaltete. Darauf stehen, hängen und liegen nun Arbeiten aus den letzten 20 Jahren, präsentiert als museale Schau. Die älteste, eine weißlich-matt glasierte Kugel, stammt noch aus seiner Studienzeit. Die jüngste Skulptur, ein eingedellter Kegelhut, ist ebenfalls aus Keramik gebrannt und dunkel schimmernd glasiert. Massiv, jedoch leicht wirkt „Phinea“, ein liegender, halber Zylinder aus Bauschaum. Als würden kleine Würmer in der Innenhälfte wimmeln und krabbeln, wirken die Chemiespaghetti fast lebendig und sind mit schwarzer und silberner Farbe begossen und besprüht. Die Arbeit war vor Jahren im Lehmbruck-Museum zu sehen, hier bekommt sie im Corona-Kontext eine andere Brisanz: „Beim Virus weiß man ja auch nicht, ob es tot oder lebendig ist, in uns wird es jedenfalls gefährlich lebendig“, sagt der Bildhauer.

Krebber will sich nicht damit zufrieden geben, dass die Museen derzeit keine Rolle spielen: „Kunst ist überall möglich, aber vor allem dort, wo sie deplatziert ist. Kunst muss invasiv sein, sich wie ein Geschwür überall einnisten.“ Das Störmoment ist für ihn künstlerische Geste. Seine Objekte im Impfzentrum hat er perfekt inszeniert, aber sie wirken auch wie eine Persiflage auf Corona. Sie sind im Maßstab das genaue Gegenteil zum Virus: Viren sind so klein, dass man sie nicht erfassen kann. Krebbers Werke dagegen wirken wie Brummer – Mini gegen Monstrum. Krebber findet sogar Ähnlichkeiten zwischen beidem, wenn er sagt: „Ein Virus ist ein Zwischending zwischen lebendig und tot. Man weiß nicht, ob es ein selbstständiges Lebewesen oder eine leblose Materie ist, die sich auf Schleimhäute spezialisiert.“ Seine Skulpturen wirken zunächst wie tot, dann aber so, als würde es im Innern rumoren.

Schon als Student gab er sich nicht angepasst. Nach dem Besuch der Klassen von Tony Cragg und Hubert Kiecol verschwand er, ohne auf den Meisterschülerbrief zu warten. Am Royal College of Art in London fiel er durch Dinge auf, die man nicht tut. So bedeckte er den Boden einer berühmten Galerie mit gefärbter Gelatine, sodass man den Raum kaum betreten konnte. Die Briten gaben ihm dennoch ein fünfjähriges Lektorat an der Universität von East London in den Docklands. Seit zehn Jahren bringt er nun dem Nachwuchs am Düsseldorfer Eiskellerberg als Professor im Orientierungsbereich bei, den Zustand eines wohlbehüteten Kinds abzuschütteln und mehr Risiko einzugehen. Vielleicht lernt die Jugend bei ihm ja die Methode, sich wie eine Geschwulst überall einzunisten. Er sagt von sich: „Ich gehe an Orte, die deplatziert sind. Die Deplatzierung ist eine künstlerische Geste.“

Für Krebber sind Unorte und „widrige Umstände“ sogar gut, weil der Künstler einen „Gegendruck“ erfährt und die Kunst gerade durch diesen Umstand mehr Kraft gewinnt, um sich zu behaupten. Im Impfzentrum lässt sie sich zunächst nicht einordnen. Er sagt: „Man wird als unvoreingenommener Besucher vor den Kopf gestoßen, Dinge zu erfahren, die man gar nicht erfahren will, weil man ja zum Impfen kommt. Aber vielleicht wundert man sich dann, was es mit dem komischen Wurmfortsatz aus Bauschaum auf sich hat.“

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