Berlin Reise ins Barlach-Universum

Berlin · Kunst-Erlebnis in Dresden: Die Stadt bietet derzeit eine Reihe sehenswerter Ausstellungen von Ernst Barlach über Gerhard Richter bis zur Schönheit der Form. Ein Überblick über die Höhepunkte.

Als im Dezember 1981 Bundeskanzler Helmut Schmidt in die DDR reiste und in Güstrow mit Erich Honecker zusammentraf, um die von Willy Brandt eingeleitete Politik der Verständigung und des Wandels durch Annäherung zu vertiefen, schwebte ein wahrer Friedensengel über den beiden Staatschefs. In der Ernst-Barlach-Gedenkstätte konnte sich Helmut Schmidt an den Werken des Künstlers erfreuen, den er zu den wichtigen kreativen Köpfen des 20. Jahrhunderts zählte. Und im Dom der Stadt durfte er die vielleicht berühmteste Plastik Barlachs in Augenschein nehmen: „Der Schwebende“, 1927 als Reaktion auf die verheerenden Zerstörungen und quälenden Konsequenzen eines Krieges geschaffen, den Historiker heute als Zivilisations-Krise und Ur-Katastrophe eines ideologischen Vernichtungswahns ansehen, dessen Folgen bis heute spürbar sind.

Die jetzt im Dresdner Albertinum aus Anlass des 150. Geburtstages von Ernst Barlach (1870-1938) eröffnete Retrospektive mit über 200 Werken aus allen Schaffensperioden endet nicht ohne Grund mit dem „Schwebenden Engel“ und seinen historisch-politischen Begleiterscheinungen. Denn Barlach wurde im geteilten Deutschland gleichermaßen höchster Respekt gezollt und galt als eine Art gesamtdeutscher Künstler. Dass er auch seine widersprüchlichen Seiten hatte und sich einst bei den Nazis angebiedert hatte, wurde dabei gern ausgeblendet. Im Gedächtnis blieb vor allem, dass Barlach, der 1934 Hitler öffentlich die Treue schwor und gegen die vermeintlich zersetzenden Umtriebe der bolschewistischen Avantgarde wetterte, später selbst Opfer der Nazi-Propaganda wurde, seine Kunstwerke als „entartet“ eingestuft und aus den Museen entfernt wurden.

Barlach, das Multitalent: Maler, Zeichner und Grafiker, Autor zahlreicher Dramen und Prosawerke, leidenschaftlicher Briefeschreiber, Bildhauer von Weltrang. Die Schau präsentiert das alles opulent, schreitet dabei seinen Lebensweg ab. Die ersten Schritte des jungen, ruhelosen Künstlers an der „Allgemeinen Gewerbeschule“ in Hamburg („In der wesenlosen Geschäftigkeit auf der Suche ohne Trost“) und an der Kunst-Akademie in Dresden („Hier in Dresden trödelt man sein Bisschen Leben nach der Mode hin“), seine Aufenthalte in Paris („Meine Pariser Jahre sind merkwürdig unfruchtbar“). Die Russland-Reise (1906), die ihn tief beeindruckt und fortan sein Schaffen bestimmt: Die Bettler-Figuren, Außenseiter, Einzelgänger, Leidenden und nach Sinn und Glauben Suchenden: Er findet sie in Russland und wird sie in seine reduzierte, einfache Formensprache übertragen. „Der Berserker“ (1910), sein „Fries der Lauschenden“ (1930-1935) und natürlich „Der Schwebende“, dem Barlach das Antlitz von Käthe Kollwitz gibt und als einen Aufschrei gegen den Krieg und als einen Engel des Friedens versteht, sie alle sind ohne seine Russland-Erfahrungen undenkbar.

Wer die Reise ins Barlach-Universum durchlebt hat, sollte nicht gleich wieder hinaus auf die Brühlsche Terrasse treten. Bevor er den einzigartigen Ausblick auf die Dresdner Kulturlandschaft genießt, lohnt sich ein Abstecher zu den Räumen, in denen Gerhard Richter, der momentan wohl bedeutendste und teuerste deutsche Künstler, ausstellt: Unter dem Motto „Es ist, wie es ist“ zeigt er Exponate aus jener Zeit (1961/1962), die Richter nach seiner Flucht von Dresden nach Düsseldorf schuf und ihn als einen jungen Künstler präsentieren, der in ungewohnter Umgebung erst noch Fuß fassen und sich neu orientieren muss.

Nachdem der Kunstreisende dann über die Brühlsche Terrasse flaniert und vorbei am Residenzschloss (mit dem Grünen Gewölbe und all den anderen Kunst-Schätzen) zum Zwinger (mit seiner Gemäldegalerie Alte Meister und der Hommage an die Macht der Bilder und die Wirkung der Tapisserien bei Raffael) geschlendert ist, könnte er sich im Café an der Schinkel-Wache mit süßen Genüssen stärken.

Im großzügig angelegten Park findet er im Wasserpalais das Kunstgewerbemuseum. Darin zu sehen sind zwei inspirierende Ausstellungen: „Common Knowledge“ entwirft Ideen gegen die Informationskrise und beschäftigt sich mit Wissen und Wahrheit, Fake und Fantasien. Die Schau „Schönheit der Form“ schließlich huldigt der 1932 in Colditz geborenen Designerin Christa Petroff-Bohne, die mit ihren Bestecken und Silberwaren, Keramik- und Produkt-Entwürfen mehrere Generationen von Designern beeinflusst hat und mit ihren zeitlos eleganten, nach Proportion, Harmonie und Ordnung suchenden Werken in beiden Teilen Deutschlands Anerkennung und große Bewunderung fand.

Große Kunst kennt keine Grenzen.

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