Kunst des Abschieds

Nachdem Papst Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht erklärt hatte, zeigte sich, dass es kein Ausstiegsszenario gab. Jetzt steht die katholische Kirche vor einer großen Aufgabe: Sie muss im 21. Jahrhundert mit einem neuen Abschiedsritus eine Tradition begründen.

W as sagt man zum Abschied? Ist Rührung erlaubt? Oder bedarf es weiser Worte? Und ist das dann schon ein kleines Vermächtnis? Wenn Abschied stets eine Erfahrung des Verlustes ist, kann es ihn überhaupt geben – den guten, den richtigen, den geglückten Abschied?

Kaum etwas fällt so schwer wie das Abschiednehmen, wie die Abdankung und der Rücktritt, der Verzicht und die Pensionierung, die Emeritierung und Demissionierung. Immer geht etwas verloren, und stets ist es danach nicht mehr so, wie es war. Dass man genau dies aber schon vorher weiß oder wenigstens wissen kann, ist der tragische Augenblick des Abschieds.

Der schwierigste ist mit Sicherheit der letzte Abschied von einem geliebten Menschen. Und das kann im wahrsten Sinne so unerträglich werden, dass man dafür Rituale erfunden und entwickelt hat. Die ritualisierte Trauer hilft, mit dem Verlust in schwerer Stunde umzugehen. Wir – die sogenannten Hinterbliebenen – wissen nicht, was nach dem Abschied auf uns zukommen wird. Wir wissen aber wenigstens, was uns in der Stunde des Abschieds erwartet: die Worte des Pfarrers, die Sargträger, die Kränze, die Grabrede, das Schäufelchen mit Erde, die Beileidswünsche, der nicht selten auch befreiende Leichenschmaus. Solche Rituale sind das Brückengeländer, an dem wir uns für die nächsten Schritte ins Leben weiterhangeln können.

Papst Benedikt XVI. ist nicht gestorben. Er ist nur vom höchsten Amt der katholischen Kirche zurückgetreten. Doch wird er mit seinem Rückzug ins Klausurkloster "Mater Ecclesiae" von der Bildfläche der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. "Es hat etwas Unheimliches, dass Papst Benedikt – aus verständlichen Gründen – künftig ganz im Verborgenen leben möchte. Es ist, als würde er in eine Art Grab gehen. Dieser Rückzug hat etwas von dem Eintritt in ein Kartäuserkloster", sagt Manfred Lütz. Der 59-jährige Theologe, Psychologe und Bestsellerautor ist seit gut 30 Jahren mit Joseph Ratzinger bekannt. Lütz glaubt darum auch zu wissen, dass sich der deutsche Papst "schon am Tag seiner Wahl dazu entschieden hat, zurückzutreten, wenn seine Kräfte nicht mehr reichen. Johannes Paul II. war ein öffentlicher Mensch, der auch öffentlich gestorben ist. Papst Benedikt XVI. aber ist immer ein diskreter Mensch gewesen", so Lütz.

Wer dafür nach Symbolen sucht, wird schon beim ersten Auftritt Benedikts fündig. Denn als Joseph Ratzinger am 19. April 2005 gleich nach seiner Wahl in einen Nebenraum geführt wurde, um die weißen Gewänder des Papsttums sowie den scharlachroten Talar anzulegen, behielt er darunter auch das schwarze klerikale Gewand eines Kardinals an. Das aber wurde sichtbar am Ärmel, als er wenig später von der Loggia der Peterskirche der jubelnden Menschenmenge zuwinkte. Sinnbildlich ist er selbst als Papst noch Kardinal geblieben; die Option des Rücktritts scheint ihm von Beginn an in den Kleidern gesteckt zu haben.

Aus der sicheren Rückschau ist ein solches Augurentum natürlich wohlfeil. Und es wird kaum jemanden geben, der nicht überrascht war, als der Papst am 11. Februar seinen Amtsverzicht erklärte. Noch einmal geschah das ganz und gar Unglaubliche innerhalb der gegebenen Ordnung: im Konsistorium vor den versammelten Kardinälen – und gehalten in Latein. Auch das ist wichtig: Die lateinische Sprache wird zwar noch gelehrt, aber nicht mehr gesprochen. Sie ist eine sogenannte tote Sprache, die nur im Kirchenstaat noch einigermaßen relevant ist. Die Ankündigung des päpstlichen Abschieds richtete sich also zunächst an die Kurie, das Zentrum vatikanischer Macht.

Der Rücktritt eines Papstes ist immer möglich gewesen, er war nur nie wirklich vorgesehen. Das zeigt sich dieser Tage auch daran, dass selbst scheinbar banale Fragen nur schwer zu beantworten sind. Wie wird Joseph Ratzinger künftig anzureden sein? Und wird oder darf es zum Rücktritt ein Abschiedsgeläut geben? Auf jeden Fall wird geläutet – und sogar flächendeckend, heißt die forsche Ankündigung aus dem Bistum Eichstätt. Dagegen wird das Läuten in Bamberg ebenso rigoros abgelehnt , weil der Papst, so heißt es, ja noch lebt. Nur in Erscheinung wird er kaum noch treten, obgleich die römische Gastwirtin Manuela Macher sich anderes erhofft. Als Inhaberin der "Cantina Tirolese" wird sie für den prominenten Stammgast früherer Tage immer einen Platz freihalten. Sogar die Höhe seiner Pension ist fraglich. Irgendwann machte das Gerücht einer monatlichen Zahlung von 2500 Euro die Runde, was der Vatikan aber in ungewohnt kurzer Reaktionszeit dementierte.

Schließlich sind die römischen Schneider in eine Diskussion darüber getreten, welche Gewänder dem ehemaligen Papst zustehen werden. Weiß könne er wohl kaum tragen, da er kein Pontifex mehr ist, kolportiert Lorenzo Gamarelli von der gleichnamigen römischen Traditionsschneiderei. Aber auch das Rot wird nicht passend sein, da sich Ratzinger nicht in einen Kardinal zurückverwandeln lässt. Hingegen ist Georg Ratzinger davon überzeugt, dass sein Bruder auch künftig einen weißen und keinen einfachen schwarzen Talar tragen wird. Die Liste der weiterhin offenen Fragen ist lang.

Der Vatikan offenbart in diesen Tagen: Es gibt kein Ausstiegsszenario, keinen Plan X, hinterlegt in irgendeiner Schublade. Somit aber fehlt ein verbürgter und eingeübter Ritus für den guten, tröstenden Abschied. Das ist bemerkenswert für eine Institution, die die Vermittlung und das Erleben des Glaubens in hohem Maße ritualisiert hat. Jetzt aber steht die Kirche vor einer neuen Aufgabe, die historisch zu nennen ist: Sie muss im 21. Jahrhundert in vergleichbar kurzer Zeit einen Ritus finden und erfinden, der dem Abschied vom höchsten Amt gerecht wird; der die Würde des scheidenden Amtsträgers bewahrt und seinem Nachfolger den Weg ins Amt erleichtert; ein Ritual, das zudem praktikabel bleibt für künftige Rücktritte. Denn längst wird die Rede von einem Papstamt auf Zeit nicht nur von Kirchenkritikern geführt. Der römisch-katholischen Kirche wird im Jahr 2013 eine nicht geringe Aufgabe gestellt: Mit dem Wandel ihres höchsten Amtes ist sie gefordert, eine Tradition zu begründen.

Ein päpstlicher Abschiedsritus ist allerdings auch für die Gläubigen von großer Wichtigkeit – als Trost und Hilfe, den neuen Pontifex zu akzeptieren, ohne das Gefühl zu haben, den ehemaligen damit zu verraten.

Solche praxisnahen Erwägungen tragen auch zur Entzauberung eines Amtes bei, dem kein Zauber innewohnt. Zauber hat nichts mit Spiritualität und Glauben zu tun, erst recht nicht mit dem Amt des gewählten Papstes. Benedikt XVI. hat das Bejubeln seiner Person oft mit Skepsis betrachtet. Geradezu scheu wirkte er bei manchen Großveranstaltungen und kirchlichen Spektakeln. Das Amt aber war für ihn stets wichtiger als die Person; und was er in seiner Zeit als Papst mit seiner Zurückhaltung dokumentierte, machte er jetzt mit seinem Rücktritt deutlich. Es geht nicht um ihn, hat er den Menschen bei einem seiner letzten Angelus-Gebete anvertraut. Es geht nur um das Leiden Jesu Christi und die frohe Botschaft.

Der Abschied im Gewand des Rücktritts ist zugleich der letzte Beleg von der Macht des Einzelnen. Benedikt wurde von den Kardinälen gewählt und auf diese Weise ermächtigt. Das Amt aber legte er eigenmächtig nieder. Es gibt viele Formen des Rücktritts, darunter gelungene wie jener der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann, die mit ihrer frühen und entschlossenen Entscheidung weder das Amt noch ihre Person beschädigte; und weniger gelungene, die erst auf enormen Druck von außen erwirkt wurden und dem Zurücktretenden jede letzte Eigenmacht nahmen – wie bei Bundespräsident Christian Wulff, aber auch beim Augsburger Bischof Walter Mixa.

Ein Rücktritt ist immer eine Ausnahmesituation, stets der Ausdruck und die Erfahrung einer Krise. Doch selten ist er von vergleichbar historischer Tragweite wie beim Amt des Papstes, das nach dem Rücktritt von Benedikt nie mehr das sein wird, was es war. Aber auch das Papstamt ist ein durch die Kirche immer wieder geformtes Amt. Das ist von vielen vergessen worden, die im hurtigen Wandel der Zeit auf den Pontifex wie auf den vielleicht letzten unverrückbaren Felsen geschaut haben. Diesen Felsen gibt es nach wie vor – das aber ist der Glaube. Ob Benedikt XVI. bei seiner Entscheidung all das im Blick hatte: eine Reform des Papstamtes ganz ohne Lehrschreiben, ohne Konzil und ohne Beratung der Kardinäle? Nur durch die Macht eigenen Handelns? Fest steht aber dies: Der deutsche Papst wird nicht nur durch seine Bücher von historischer Bedeutung sein.

(RP)
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