Schreibtisch-Konzerte, Spotify-Playlist und Erich Kästner Meine Kulturtipps fürs Wochenende

Düsseldorf · Jede Woche geben wir persönliche Kulturtipps für das Wochenende. Marei Vittinghoff empfiehlt Schreibtisch-Konzerte auf YouTube, einen etwas anderen Spotify-Jahresrückblick und „Pünktchen und Anton“.

 Harry Styles bei seinem „Tiny Desk“-Konzert im Büro von Radiomoderator Bob Boilen, das am 25. Februar 2020 aufgezeichnet wurde. Foto: YouTube Screenshot / NPR Music

Harry Styles bei seinem „Tiny Desk“-Konzert im Büro von Radiomoderator Bob Boilen, das am 25. Februar 2020 aufgezeichnet wurde. Foto: YouTube Screenshot / NPR Music

Foto: NPR Music/Screenshot

Es gab wohl selten ein Jahr, in dem Wunsch und Realität so weit auseinanderklafften wie im Jahr 2020. Das Pläne-für-das-neue-Jahr-machen hat man sich darum ja eigentlich fast schon ein bisschen abgewöhnt. Wünschen darf man sich für das Jahr 2021 aber natürlich trotzdem etwas. Zum Beispiel, dass man seine Freundinnen und Freunde endlich wieder richtig und tatsächlich drücken kann, ohne beim Abschied am Telefon auf schlimme Phrasen wie „Fühl dich gedrückt“ ausweichen zu müssen. Oder dass man vielleicht wieder mit mehreren Menschen in einem Raum zusammen Live-Musik hören und dabei mitsingen und tanzen und sich womöglich sogar an den Händen halten kann, vor allem an den besonders wichtigen Stellen.

Bis es irgendwann soweit ist, spendet das Format „Tiny Desk Concerts“ auf erstaunlich gute Weise Trost. Schon seit 2008 lädt das National Public Radio (NPR), so etwas wie der Dachverband freier amerikanischer Rundfunksender, in unregelmäßigen Abständen verschiedene Musikerinnen und Musiker ein zu ein, um dort – in der Regel vor den Angestellten – ein kleines Konzert zu geben. Gespielt wird dann jeweils am Schreibtisch des Radiomoderators Bob Boilen, der das Format angeblich erfunden haben soll, nachdem er zusammen mit seinem Kollegen Stephen Thompson frustriert von einem Club-Konzert der Sängerin Laura Gibson gekommen sei, bei dem die beiden durch das laute Gerede im Publikum kaum etwas vom eigentlichen Klang auf der Bühne verstehen konnten. Boilen soll daraufhin gesagt haben, dass Gibson beim nächsten Mal besser gleich an seinem Schreibtisch spielen sollte und das tat sie tatsächlich und danach dann noch so viele Musikerinnen und Musiker, dass allein die ganzen Aufzeichnungen der Konzerte (von denen die allermeisten auf YouTube angeschaut werden können) reichen würden, um das komplette Wochenende und wahrscheinlich auch noch die Wochen danach mit Musik zu füllen. Alles wird unplugged gespielt, gesungen wird ganz ungeschützt in den Raum hinein und so wird selbst aus Hallen-Künstlern wie Harry Styles wieder im besten Sinne der Singer-Songwriter aus der Bar nebenan, der zwischen den Stücken kleine Geschichten erzählt und sich auf dem Gitarrenhocker um die eigene Achse dreht. Alles ist so schön nah und wahrhaftig und unaufgeregt und dabei doch mit einer so guten Qualität aufgezeichnet, dass man beim Hören mit Kopfhörern manchmal meint, man stünde selbst mit im Raum. Die Auswahl an Musikerinnen und Musikern ist dabei so groß, dass hier wirklich einmal die Floskel bedient werden darf, es sei „für jeden etwas dabei“: Die Spannweite reicht von Lizzo und Jorja Smith über Cat Stevens und The Cranberries (eine Aufnahme aus dem Jahr 2012) bis hin zu Igor Levit und Max Richter. Man könnte meinen, man habe das Konzept der Heimkonzerte nach diesem Jahr schon ein bisschen satt, aber nein, diese Videos sind so toll, dass man die Momente am liebsten mit all seinen Freundinnen und Freunden teilen würde. Und das geht dann zwar wieder nicht, aber man kann ihnen zumindest die Links zuschicken und schreiben: „Schaut mal!“

Was für einen ausgesprochen tollen Musikgeschmack man selbst hat, durfte man sich zum Ende des Jahres 2020 wieder von Spotify anhören. Der weltweit größte Audio-Streaming-Dienst schmiss in den auf die Nutzer und Nutzerinnen zugeschnittenen Jahresrückblicken wieder einmal nur so um sich mit Komplimenten. Wie offen für verschiedene Genres man doch sei, wie vielfältig der eigene Geschmack und wie pionierhaft man selbst, weil man in den vergangenen Monaten mal einige Songs gehört hat, die dann später die 50.000 Streams auf der Plattform erreichten. Das digitale Kulturmagazin „The Pudding“ hat nun auch eine Art personalisierten Spotify-Jahresrückblick entworfen – und mit dem kann man sich all dieses aufgebaute Selbstbewusstsein mit nur wenigen Klicks wieder sehr schön zerstören lassen. „How Bad Is Your Spotify?” heißt das Projekt und es ist aufgebaut wie ein Chat, bei dem der Nutzer oder die Nutzerin mit einem Bot kommuniziert. Anhand des eigenen Hörverhaltens sowie einiger kurzen Fragen beurteilt der Bot dann auf der Basis von Empfehlungen und Bewertungen von Fachmedien ganz gnadenlos, wie absolut furchtbar und einfach nur abstoßend der eigene Musikgeschmack ist. Und das ist sehr lustig, denn kommuniziert wird (zwar auf Englisch) in genau diesem spöttischen Ton: Der Bot reagiert in der Regel mit Entsetzen auf die Daten, die Spotify über einen gesammelt hat. Er fragt ungläubig, ob man diesen einen Song wirklich ernsthaft oder vielleicht ja doch nur ironisch hört, erkundigt sich nach dem eigenen Befinden, weil man in letzter Zeit viel – wirklich sehr viel – Taylor Swift gehört hat und merkt an, man habe „Ich geb mir selbst `ne Party“ von Howard Carpendale nun irgendwie echt schon unangenehm oft abgespielt in diesem komischen Jahr. Am Ende kommt dann das Ergebnis und das fällt – soviel darf man schon vorwegnehmen – schlecht aus. Die Frage ist nur, auf welche Art: Oh-mein-Gott-die-Highschool-ist-vorbei-schlecht? Du-sitzt-wahrscheinlich-allein-in-der-Cafeteria-schlecht? Oder: Du-hast-einen-Master-in-Kreatives-Schreiben-und-bist-ein-Craft-Beer-Snob-schlecht?

Irgendwie bleibt man eben auch trotz der großen Auswahl, die man bei Streamingdiensten wie Spotify eigentlich hätte, größtenteils in der eigenen Geschmacksblase gefangen. Vor allem in diesen Zeiten, in denen man sich – zum Beispiel auf kleinen Festivals – nicht auch mal nach neuen Künstlerinnen und Künstlern umschauen kann, auf die man durch Playlists oder den Algorithmus vielleicht niemals gestoßen wäre. Das ist besonders für die jungen Bands selbst problematisch, die noch nicht so viel Reichweite haben und diese normalerweise dadurch bekommen, dass sie so viele Konzerte wie möglich spielen und so neue Zuhörerinnen und Zuhörer zu finden. Damit die Lieder, die in diesem Jahr geschrieben wurden, trotzdem nicht untergehen, hat die Düsseldorfer Band Creeps zusammen mit dem Kulturzentrum Zakk eine Spotify-Playlist mit dem Namen „BRANDNEU Düsseldorf“ gegründet, mit der neue Veröffentlichungen von Bands aus der Region gesammelt angehört werden können. Jede Woche gibt es ein Update mit neuer Musik. Und vielleicht entdeckt man auf diese Art ja noch ein paar neue Songs, die das Ruder bei dem etwas anderen Spotify-Rückblick noch einmal herumreißen.

Manchmal ist alles, was man braucht, aber auch einfach ein Klassiker, bei dem man ganz genau weiß, was man bekommt und bei dem man sich nur unter die Bettdecke kuscheln und abwarten muss, bis sich das „Alles wird gut“-Feeling von ganz allein einstellt. In der ZDF-Mediathek stehen genau dafür noch bis zum 4. Januar vier Erich-Kästner-Neuverfilmungen (die ja mittlerweile eigentlich selbst wieder zu Klassikern geworden sind) bereit. „Das fliegende Klassenzimmer“ ist dabei, „Emil und die Detektive“ und „Das doppelte Lottchen“. Und auch die „Pünktchen und Anton“-Verfilmung von Regisseurin und Drehbuchautorin Caroline Link mit der zugleich wunderbar schwermütigen und schwerelosen Filmmusik von Niki Reiser. Und wenn Pünktchen dann im Einkaufszentrum ihr Lied singt („Haselnuss schmeckt wie ein süßer Kuss, in Mandarin sind Vitamine drin“) oder die beiden Freunde am Ende an der Nordsee zusammen Urlaub machen und Anton mit den Beinen im Wasser steht und ruft „Komm rein, schwimmen“ und Pünktchen dann in den Dünen steht und sagt „Ich kann gerade nicht“ und er dann mit den Schultern zuckt und fragt „Warum denn nicht?“ und sie dann die schönste Antwort überhaupt gibt („Weil ich gerade so glücklich bin“) – dann passiert es doch irgendwie. Dass man sich wirklich „gedrückt fühlt“. Auch ohne richtige Umarmungen.

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