Kulturlexikon: F wie Fuge Bach der Baumeister

Düsseldorf · In unserer Serie beschäftigen wir uns heute mit einer der schwierigsten Disziplinen des Komponierens.

Es war in den 80er Jahren an einem Freitag gegen 8.20 Uhr, als der Kölner Tonsatz-Professor Hans Elmar Bach die Studenten der Musikwissenschaft mit einem Donnerwort aus dem Dämmer riss: „Herrschaften, die Fuge ist keine Form, sondern ein Konstruktionsprinzip!“ Das sagte er mindestens im Forte und mit einem derart sarkastischen Missmut, dass man den Satz nie wieder vergaß.

Tatsächlich ist die Fuge kein Gefäß, keine Schablone. Man kann sie nicht kopieren, weil sie sich immer individuell entwickelt. Worum es geht? Ein Komponist erfindet ein Thema und lässt es nacheinander durch alle Stimmen laufen – Tenor, Alt, Sopran, Bass. Oder anders. Oder ganz anders.

Damit die Grenzen des Tonsatzes eingehalten werden, sind die Intervallverläufe im Thema (Dux) und dessen Beantwortung (Comes) nicht immer identisch. Und sobald der Comes erklingt, muss sich der Dux verwandeln, sich etwas Neues einfallen lassen, das sich zur Kombination mit den anderen Stimmen eignet. Das heißt Kontrasubjekt.

Jedenfalls ist die Fuge eine Königsdisziplin des Komponierens, ein intellektuelles Mächtigkeitsspringen. Sogar Wagner versuchte sich am Modell Fuge, in den „Meistersingern“. Ihr Großmeister aber war Bach, der Baumeister. Er zog zusammen, was zuvor schon an Denkmöglichkeiten der Vielstimmigkeit erprobt war, etwa bei den alten Niederländern. Für Bach war die Produktion einer Fuge wie das Lösen eines kniffligen Sudokus, und da der Mann es liebte, sich die Arbeit schwer zu machen, schuf er irgendwann die „Kunst der Fuge“.

Da kommt es zu Fugen mit mehreren Themen, kommt es zu ihrer Engführung (wenn die Stimmen in denkbar kurzen Zeitabständen einsetzen), zur Augmentation (das Thema in längeren Tondauern als am Anfang), zur Spiegelung (ein Thema, das mit einem Quintsprung aufwärts begann, startet jetzt mit einer Quarte abwärts) oder gar zum Krebs (das Thema läuft rückwärts).

Mozarts Fugenprozesse sind genial, etwa in der „Jupiter-Sinfonie“. Beethovens „Große Fuge“ klingt, als habe er Aufputschmittel genommen. Max Reger nutzt die Fuge als Architekturprojekt, das ihm bei seinem Orgel-Gigantismus behilflich ist: leise beginnen, donnernd enden – und am besten gegen Ende einen wuchtigen Kirchenchoral als zweites Thema drunterlegen.

Überhaupt die Organisten, die bis heute alle an ihrem Bach kleben. Grandiose Fugen schrieben vor allem die Franzosen Marcel Dupré und Maurice Duruflé. Wer Duruflés Fuge über den Namen Alain etwa an der Orgel von Saint-Sulpice in Paris hört (gibt’s auf Youtube, gespielt von Vincent Warnier), der geht vor der Virtuosität, wie der Komponist strenges Handwerk und überschäumende Energie kombinierte, dankbar in die Knie.

Konstruktionsprinzip – das klingt technisch, wie nach Ikea-Regal. In Wahrheit ist eine schöne Fuge etwas, das Schöpfer und Hörer glücklich für den Tag stimmt. Denn über das ganze Konstruieren, Imitieren, Umspielen und Umverteilen von Stimmen klingt sie nie nach Mathematik. Eine gute Fuge ist immer auch herrliche, erfüllende Musik.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort