Zwischen Oper und Kaufhaus Kunst und Kommerz in Shanghai

Shanghai · In Chinas größter Stadt gibt es riesige Museen und Theater. Viele flanieren aber lieber durch die Einkaufszentren oder singen im Park.

 Die Nanjing Road in Shanghai am Abend: Die Fußgängerzone und Einkaufsstraße ist beliebt zum Flanieren und Essengehen. Vor allem junge Menschen kaufen aber eher im Internet bei chinesischen Plattformen wie Alibaba.

Die Nanjing Road in Shanghai am Abend: Die Fußgängerzone und Einkaufsstraße ist beliebt zum Flanieren und Essengehen. Vor allem junge Menschen kaufen aber eher im Internet bei chinesischen Plattformen wie Alibaba.

Foto: picture alliance / imageBROKER/Günter Lenz

Diese Stadt ist Bewegung: Menschen eilen in den Hochhausschluchten der Mega-City Shanghai mit ihren 24 Millionen Einwohnern zur nächsten U-Bahn-Station. Pulks von Rollern schwirren über die Seitenspuren, nur Elektroroller sind noch erlaubt. Doch wer an einem der Hochhausblocks in die Shopping-Mall „K11“ einbiegt, betritt eine entspannte Welt der schönen Dinge. In diesem Einkaufszentrum, das sich wie die meisten Malls in Shanghai über viele Etagen erstreckt, gibt es nicht nur Boutiquen der globalen Edelmarken, Design-Geschäfte, zahlreiche Restaurants, sondern auch Kunst.

Gerade ist im Kellergeschoss eine Installation von Katharina Grosse zu sehen. In fünf Räumen hat die Düsseldorfer Künstlerin Erde, Bauschutt, riesige Tücher drapiert und mit den knalligen Farben aus ihrer Spritzpistole überzogen. „Mumbeling Mud – murmelnder Schlamm“ hat sie ihre erste Ausstellung in China genannt. Doch wird sie eben nicht in den heiligen Hallen eines Museums präsentiert, auch davon gibt es zahlreiche in Shanghai, sondern im Untergeschoss eines Konsumtempels.

Vor allem junge Leute verabreden sich dort zum Essen oder Flanieren – und können im gehobenen Konsum-Ambiente einen Abstecher in die Kunst unternehmen. An diesem Nachmittag schlendern die meisten durch die verfremdeten Räume wie durch irgendein Geschäft und machen Selfies, einige kaufen aber auch den Katalog mit Erklärungen zum Werk. Die kräftigen Farben aus Grosses Arbeit tauchen in zahlreichen Shops des Zentrums wieder auf – als Dekoelemente. So zerfließen die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz.

„Für die meisten Chinesen ist das Leben immer noch sehr hart und anstrengend“, sagt Guangyan Yin-Baron, die mit ihrem Mann Stefan Baron, Journalist und früherer Kommunikationschef der Deutschen Bank, ein viel beachtetes Buch über „Die Chinesen“ geschrieben hat. „Deshalb suchen viele Chinesen in ihrer Freizeit vor allem Erholung und Entspannung. Sie sehen die Dinge ohnehin ganzheitlicher als Menschen in Europa, deshalb trennen sie nicht zwischen Kultur und Kommerz, U und E.“ Viele Kulturveranstaltungen seien auch von Unternehmen gesponsert.

Fragt man Studenten in Shanghai, welche Kulturangebote sie in ihrer Freizeit nutzen, sagen die tatsächlich zunächst, dass sie dafür keine Zeit haben. Leben und Studium in der hippsten Metropole Chinas sind teuer, entsprechend groß ist der Druck aus dem Elternhaus, die Ausbildung für den Sprung in die Karriere zu nutzen. Wenn sie aber doch einmal entspannen wollen, schlendern junge Leute gern durch Malls, die mit Attraktionen wie Rutschbahnen über viele Etagen, Riesenrad, Eislaufbahn, Kino oder Karaoke-Bars locken.

„In China in die Mall zu gehen, ist ein wenig wie bei uns früher der Ausflug ins Grüne“, sagt Stefan Kramer, Sinologe an der Universität zu Köln, „die Gesellschaft steht unter enormem Konkurrenzdruck, der schon im Kindergarten beginnt. Wenn man dann mal entspannen will, geht man in der Mall etwas essen – allerdings oft auch mit Kollegen und dann geht es schon wieder um den Job.“ Auch das sehr beliebte Singen in Karaoke-Bars, die in China KTV-Bars heißen, dient nebenher auch dem Netzwerken. Verabredungen im Kollegenkreis sind üblich.

Über das kulturelle Angebot in der Stadt informieren sich die Leute vor allem bei WeChat, der größten chinesischen Kommunikations-App, die im Land eine riesige Rolle spielt. Theater, Kinos, Museen und Galerien laden über WeChat zu ihren Programmen ein, Kritiker nutzen diesen Kanal, um ihre Empfehlungen zu verbreiten. Als das Düsseldorfer Schauspielhaus vor kurzem mit Robert Wilsons Inszenierung von „Der Sandmann“ in Shanghai gastierte, war der Andrang ab der zweiten Aufführung riesig. Tickets wurden zu erhöhten Preisen gehandelt, weil es bei WeChat zahlreiche Empfehlungen gegeben hatte.

Auch internationale Eliteorchester, Ballett-Compagnien oder Musical-Tourneetruppen gastieren regelmäßig in Shanghai in modernen Theatern mit vielen Tausend Sitzen. „Solche Abende sind sehr teuer“, sagt Kramer, „sie werden also als eine Besonderheit, als ein Event geschätzt.“

Doch auch in Shanghai gibt es Kultur, die kein Geld kostet. Man kann sie beobachten, wenn man früh morgens in einen der Stadtparks geht. Da treffen sich Rentner zum Tanzen oder Singen, üben die Bewegungen des Schattenboxens oder kalligraphieren mit Wasser auf dem Steinboden. „Ältere Menschen in Shanghai leben Kultur mehr als sie zu erleben“, sagt Kolja Quakernack, Sinologe aus Bielefeld, der vier Jahre in Shanghai gelebt hat. „Viele von ihnen glauben, dass ein aktiver Lebensstil fit hält und Aktivitäten mit Gleichgesinnten vor Einsamkeit und Altersdepression schützen.“ So kann man in den Parks auch erleben, wie Rentner etwas von dem weitergeben, was sie in ihrem Berufsleben erlernt haben: Lehrer unterrichten, frühere Opernsänger singen unter freiem Himmel. „Es entsteht ein Geben und Nehmen, das in keiner Statistik auftaucht“, sagt Quakernack.

 Theaterprogramm zum Abfotografieren im „PG Theater“ in Shanghai .

Theaterprogramm zum Abfotografieren im „PG Theater“ in Shanghai .

Foto: Dorothee Krings
 Aufführung an einer traditionellen Bühne in Shanghai. Das Publikum der Inszenierung mit viel Gesang und akrobatischen Einlagen ist eher älter.

Aufführung an einer traditionellen Bühne in Shanghai. Das Publikum der Inszenierung mit viel Gesang und akrobatischen Einlagen ist eher älter.

Foto: Dorothee Krings

Auch in einem der kleineren Theater der Stadt kann man älteres Publikum treffen. Sie vergnügen sich in Inszenierungen, die in der Tradition der Peking Oper, Spiel, Gesang und Akrobatik verbinden. Manche dieser Theater sind im Winter nicht beheizt, die Zuschauer lassen ihre Jacken an, spenden nach gelungenen Nummern Szenenapplaus, naschen während der Vorstellung ein paar Nüsse oder trockene Fischstückchen. Das „PG Theater“ ist eine solche traditionelle Opernbühne, auch an einem Wochentag ist die Vorstellung ausverkauft. Das Programmheft ist im Foyer auch auf Wandtafeln zu lesen, viele Besucher fotografieren die Aushänge, eilen zu ihren Sitzen und lesen den Inhalt dort in ihrem Handy. Auch nach der Vorstellung ist wieder Eile angesagt. Die Darsteller werden nicht lange gefeiert, die Leute drängen sofort zu den Rolltreppen am Ausgang – und zurück in ihre bewegte Stadt.

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