Kühl und distanziert: Biographie über Immendorff

Mit Enthüllungen war kaum zu rechnen. Schließlich hatte Jörg Immendorff (1945–2007) selbst enthüllt, was es zu enthüllen gab, teils unfreiwillig, teils auch, weil er von Natur aus gerne Aufsehen erregte. So kam alles schon zu Lebzeiten heraus: sein Hang zuerst zum Maoismus, dann zum Milieu der Bordelle und schließlich zum Kokain, sein Umgang mit Prominenten wie Gerhard Schröder und am Ende auch sein langes, qualvolles Sterben, nachdem er an ALS erkrankt war und verzweifelt mehrere Wege aus diesem tödlichen Nervenleiden erprobt hatte.

Nichts Neues also über Immendorff. Dennoch ist die Biographie, die HP Riegel (Jahrgang 1959) über den Düsseldorfer Künstler verfasst hat, höchst lesenswert. Denn der Autor, einst Assistent von Immendorff, Projektpartner und heute in der Werbung tätig, zählt nicht zu jenen Biographen, die den Menschen, dessen Leben sie beschreiben, aufs Podest hieven. Vielmehr blickt er auf seinen gar nicht so heldenhaften Helden hinab und erklärt dessen früh spürbares Geltungsbedürfnis als Folge seiner Jugend. Die Eltern trennten sich, als er elf war; darüber kam er nicht hinweg. Den begehrten Übervater fand er dann in seinem Lehrer Joseph Beuys, die Übermutter zeitweilig in seiner Studienkollegin Chris Reinecke.

Biograph Riegel zeichnet Immendorffs Lebensweg als ein unablässiges Ringen um Anerkennung. Dabei attestiert er ihm lediglich mittelmäßige künstlerische Gaben und stellt heraus, dass sich unter dem Kern des harten Kerls erst in Lederkluft, dann im Zweireiher eine Person verbarg, die nicht so selbstsicher war, wie sie sich gab.

Wer Immendorff kannte, wird Riegel beipflichten. Zu Beginn eines Gesprächs konnte er sehr frostig sein. Doch der Mann, der eben noch als Bescheidwisser auftrat, konnte schon kurz darauf zum Zweifler werden und zugeben, dass er sich in der Politik nicht so gut auskenne, um zu beurteilen, ob Gerhard Schröders sanfter Umgang mit autoritären Staaten wie Russland oder China richtig oder falsch sei. Selbst gegenüber Kritik an seinem Werk zeigte sich Immendorff abseits der Öffentlichkeit keineswegs unzugänglich. Die Stärken von Riegels Biographie liegen in der Zeit bis in die 80er Jahre. Da spürt man die Nähe zum Porträtierten.

Später gelangt das Buch oft nicht über das hinaus, was sich aus Archiven zutage fördern lässt. Viel zu kurz, nur 22 Zeilen lang, gerieten die Auslassungen über Immendorffs Witwe Oda Jaune. Um wie viel lebensnäher berichtet demgegenüber ein früheres Kapitel über die oft bösartige Konkurrenz an der Akademie, als Sigmar Polke dem Kommilitonen Immendorff das Leben schwer machte!

Info HP Riegel: "Immendorff. Die Biographie". Aufbau, 399 Seiten, 24,95 Euro

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