Essen Kraftwerk jazzte in der Lichtburg

Essen · Zum Tourstart geben die Elektroniker sieben Konzerte an vier Tagen in Essen.

Zu Anfang ein Schock: Ralf Hütter ruft zwischen zwei Stücken die Worte "Synthesizer Sync", und da denkt man schon, er sagt ein unbekanntes Lied an, womöglich das erste neue seit 30 Jahren. Sensation? Leider ist das dann doch nur eine Anweisung an den Tonmeister, der die Geräte der vier Kraftwerker synchronisieren soll. Rhythmus- und Melodie-Elemente liegen nicht akkurat aufeinander. Kleine Unperfektheit also, seltener Mini-Makel. Die Menschlich-Maschine.

Kraftwerk tritt in der Lichtburg in Essen auf, an vier Tagen geben sie sieben Konzerte vor je 1250 Fans, und der Ort ist schön gewählt. Das Kino wurde in den 1920er Jahren eröffnet, in jener Zeit also, aus der die Düsseldorfer Elektroniker ihre Inspiration beziehen. Fritz Langs Film "Metropolis" aus dem Jahr 1928 beispielsweise ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Kraftwerk, die sich nie bloß als Musiker gesehen haben, sondern als Schöpfer eines Gesamtkunstwerks, in dem das Visuelle ebenso wichtig ist wie der Sound.

So sitzt man also in roten Polstersesseln, und der Komfort entspricht dem im Trans Europa Express: Zeitreisen in die Zukunft von gestern waren nie gemütlicher. "Ladies and Gentleman, heute Abend: die Mensch-Maschine" heißt es zu Beginn, dann öffnet sich der schwere Vorhang, und man sieht vier Männer an Keyboards, die vor 3D-Animationen ihre ewig gültigen Hits aus den 70er und 80er Jahren per Surround-Sound in den Saal drücken. Das Programm ist seit Jahren dasselbe, und dennoch denkt man: wie präzise, wie gut, wie neu. Höhepunkt ist die Suite "Trans Europa Express", deren visionären Mittelteil "Metall auf Metall" Kraftwerk geradezu zelebriert. Außerdem "Die Roboter", das sie von ihren Roboter-Doppelgängern aufführen lassen, und "Die Mensch-Maschine", das so wuchtig und mitreißend ist, dass die Leute in ihren Sitzen hüpfen und die Stuhlreihen zum Wackeln bringen. Sehr schön: Ralf Hütter schmunzelt, während er die Textzeilen "Mensch-Maschine / Halb Wesen, halb Über-Ding" singt.

Deutlich wie selten tritt an diesem Abend der Humor-Aspekt bei Kraftwerk hervor. Zu "Spacelab" lassen sie ein Ufo, das wie diese Esspapier-Süßigkeit mit Brause aussieht, auf einer ausgebleichten Fotografie der "Lichtburg" landen. Vor den Zugaben zeigen sie ein altmodisch flackerndes Schwarzweiß-Logo: Eine Weltkugel, auf der "Kling Klang Musikfilm" steht. Und das Irrste: Am Schluss der letzten Zugabe, die wie immer "Musique Non Stop" ist, darf jeder der Vier jammen. Er drückt die Tasten seines Keyboards, es ist wie im Jazz, fehlt nur noch, dass die kühlen Ingenieure des programmierten Pop zu schwitzen beginnen. Die anderen schauen zu, und dann verbeugt sich der Bestaunte und tritt ab. Am Schluss ist einzig Ralf Hütter da, letzter Verbliebener der Urbesetzung. Der 69-Jährige schreitet an den Rand der Bühne, legt eine Hand aufs Herz und geht auch.

Seine Musik indes läuft weiter.

(hols)
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