Düsseldorf Kontemplation in Aktion – ein Grundsatz der Jesuiten

Düsseldorf · 1958 trat Jorge Mario Kardinal Bergoglio dem Jesuitenorden bei. Dieser prägte die Spiritualität des heutigen Papstes maßgeblich.

Er trägt gewöhnliche Herrenschuhe, wohnt im Gästehaus des Vatikans, wählte als erstes Reiseziel die Flüchtlingsinsel Lampedusa, um die "Globalisierung der Gleichgültigkeit" anzuprangern – Papst Franziskus hat von Anfang an mit den Erwartungen an seine Rolle gebrochen. Staunend beobachtete die Welt, wie da ein Mensch vor ein gewichtiges Amt trat, christliche Werte selbstverständlich zum Maßstab seines Handelns machte und dadurch Aufsehen erregte. Doch sind die Gesten des Franziskus keine Effekthascherei. Das Handeln des Papstes ist zutiefst ignatianisch, also geprägt von der Spiritualität der Jesuiten, der Brüder der Gesellschaft Jesu. Ignatius von Loyola hat den Orden 1540 gegründet, der Papst trat ihm 1958 bei.

Das Sendungsbewusstsein der Jesuiten, die Gemeinschaft und die Disziplin hätten ihn bewogen, der Gesellschaft Jesu beizutreten, hat der Papst gesagt. Das mute seltsam an, weil er eigentlich ein undisziplinierter Mensch sei, doch die Art, wie Jesuiten ihre Zeit einsetzten, habe ihn beeindruckt.

Beständiges Hinterfragen des eigenen Tuns zählt zum Wesen ignatianischer Spiritualität. Jesuiten nennen das Kontemplation in Aktion – Beschaulichkeit im aktiven Tun. Ihre Vertiefung ist nie Selbstzweck, sie dient der Selbstreflexion, um das eigene Wirken am Vorbild Jesu auszurichten und ehrlich zu fragen, wie wirksam das eigene Leben für andere ist. Wer so denkt, hat keine Zeit zu verlieren, der lebt diszipliniert um der Sache willen und scheut selbst vor einer so gewaltigen Aufgabe wie dem Papstamt nicht zurück.

Seine Entscheidungen aber trifft ein Jesuit nach dem Prinzip der Unterscheidung: Er versucht, jene Gedanken, die ihn zu liebevollem Handeln anregen, von den Stimmen zu unterscheiden, die ihn in Angst, Getriebensein, Egoismus führen. Schon Ignatius von Loyola hat die Frage beschäftigt, wie er "geistvoll und liebevoll" leben könnte, und er kam zu dem Schluss, dass er die Anleitung für sein Handeln nicht von außen einholen, sondern in seinem Innern finden müsse. Darum pflegen Jesuiten die Tradition der Exerzitien und nehmen sich auch im Alltag Zeit, die Geister, die in ihrem Innern flüstern, zu unterscheiden. Dieses Abwägen braucht Zeit. Es verlangt, Rechenschaft abzulegen über die eigenen Motive und Verführbarkeiten. Und so ist der Papst kein Freund schneller Entschlüsse.

Jesuiten sehen es auch als ihre Aufgabe, die christliche Botschaft zu beglaubigen, indem sie sich wie Jesus für Benachteiligte einsetzen. Darum hat Papst Franziskus auf Lampedusa für die ertrunkenen Flüchtlinge gebetet, darum hat er in einem italienischen Jugendgefängnis einem Häftling die Füße gewaschen, darum hat er einen schwer behinderten Jungen geküsst. All das waren Zeichen eines Jesuiten, der mit kleinen Gesten die Größe des Evangeliums bezeugen, das radikale Potenzial der christlichen Botschaft verkünden will.

Auch die Wahl seines Wohnortes ist Zeichen seiner ignatianischen Prägung. Der Papst will weiter in einer Gemeinschaft leben, so wie es die Jesuiten weltweit tun, und er vertraut auf die gute Wirkung der Einfachheit. "Sich nicht vom größeren Raum einnehmen lassen, sondern imstande sein, im engsten Raum zu bleiben", so hat Franziskus einen Grundsatz des Ignatius umrissen. Das Appartement im apostolischen Palast sei wie ein umgekehrter Trichter – geräumig, aber der Eingang schmal, man trete tropfenweise ein. Franziskus hat sich für die umgekehrte Variante entschieden. Er lebt in einem kleinen Zimmer, zu dem der Zutritt leicht fällt und das ihn nicht abschottet von der Welt.

Denn im Alltag, in der liebenden Begegnung mit Menschen, leben Jesuiten ihre Spiritualität. Ignatius von Loyola hat ihnen aufgetragen, "Gott in allem zu suchen". Der Papst macht vor, was das konkret bedeutet.

(RP)
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