Kommentar Gesellschaft braucht die Theater zum Atmen

Düsseldorf · Nach dem Entwurf der Bundesregierung sollen viele Kultureinrichtungen, darunter auch Theater, wieder geschlossenen werden. Dabei haben gerade sie mit ihren Hygienekonzepten gezeigt, wie ein Leben in Zeiten von Corona funktionieren könnte.

 Im Berliner Schlosspark-Theater symbolisieren Puppen die zu vergebenen Sitzplätze.  Foto: dpa

Im Berliner Schlosspark-Theater symbolisieren Puppen die zu vergebenen Sitzplätze. Foto: dpa

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Erstens: Das Virus breitet sich vor allem dort aus, wo Menschen ihre Freizeit verbringen und sich gelegentlich leichtsinniger als sonstwo verhalten. Zweitens: Es gibt ausgewiesene Orte, an denen Freizeit verbracht wird. Also müssen drittens diese Orte erst einmal den Menschen entzogen werden, um eine weitere und nicht mehr zu kontrollierende Verbreitung des Virus zu unterbinden. Hört sich logisch an und führt schließlich zu dieser Überlegung der Bundesregierung, alle Einrichtungen für die „Freizeitgestaltung“ vorerst zu schließen: wie Spielhallen, Spaßbäder, Bordelle, Wettannahmestellen – und eben auch Opern, Konzerthäuser, Theater. Man muss es so zynisch sagen: Der Sack ist geschnürt, jetzt muss nur zugeschlagen werden, ohne ausgeprägte Rücksicht auf Verluste. Die aber wären eklatant. Es träfe in der Kulturszene zunächst nämlich nicht die öffentlich finanzierten, staatlichen Kultureinrichtungen, sondern die vielen mittleren und kleinen, oftmals aber nicht weniger beliebten Veranstalter. Über ihre Existenzbedrohung klagen alle – und natürlich zu recht. Aber auf die leichte Schulter nimmt die derzeitige Lage – selbst angesichts der eigenen schwierigen Situation – kaum jemand. Was tun? Auch die kleinen Theater haben sich eine Menge einfallen lassen, haben ihre Häuser zu geschützten Räumen werden lassen und haben damit jene Kreativität an den Tag gelegt, die sie sonst abends auf der Bühne zeigten. Und so wurden Theater mit ihren Hygienekonzepten bislang nicht als Corona-Hotspots identifiziert; sie sind kein Ort der Super-Spreader. Das hängt auch mit den naturgemäß großen Räumen und den guten Lüftungsanlagen zusammen.

Theater sind aber gesellschaftlich schützenswerte Räume, in denen das Ungedachte gedacht werden darf und muss, um die Leute auf neue, andere Gedanken zu bringen. Theater sind nie systemkonform und genau darum in freiheitlichen Gesellschaften in hohem Maße systemrelevant. Wer dort den Riegel vorschiebt, nimmt der Gesellschaft die Luft zum Atmen.

Eine generelle Schließung zeigt zudem mangelnden Respekt denjenigen gegenüber, die oft ihr Leben dem Schauspiel verschrieben haben. Viel zu oft selbstlos. Wer Geld verdienen möchte, sollte sich wirklich in anderen Berufen umschauen.

Neue Schutz-Maßnahmen sind angesichts des dramatischen Infektionsgeschehens dringend notwendig. Auch in der Kultur. Doch sie bedürfen der Differenzierung und des wertschätzenden Augenmaßes. Die Theater verdienen es. Die Gesellschaft braucht sie.

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