Vor 100 Jahren wurde die Kölner Petersglocke gegossen Alle lieben den Dicken Pitter

Köln · Sie wiegt 24 Tonnen und gehört zu den größten Kirchenglocken der Welt: die Petersglocke im Südturm des Kölner Doms. Vor 100 Jahren wurde sie gegossen. Zeit also, ihr einen freundlichen Besuch abzustatten.

 Der mühselige Transport der Petersglocke 1923 aus der Werkstatt Glockengießerei Heinrich Ulrich in Apolda zum Kölner Dom.

Der mühselige Transport der Petersglocke 1923 aus der Werkstatt Glockengießerei Heinrich Ulrich in Apolda zum Kölner Dom.

Foto: Hohe Domkirche Köln, Dombauhüt/Jennifer Rumbach (Repros)

Der Aufstieg ist nicht beschwerlich, aber er rumpelt ganz ordentlich. Im Lastenaufzug geht es entlang der Außenfassade rauf in den Südturm bis zum Dachboden des Kölner Doms. Das sind etwas mehr als 50 Meter immerhin, und durch die Roste des Industriegitters wimmelt es vor Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz praktisch wie zu unseren Füßen.

Ein letzter kleiner Ruck, wir sind angekommen. Das Gitter schiebt sich auf, über einen Eisensteg geht’s in luftiger Höhe zum Dom, ein paar Handwerker kommen uns entgegen, steigen ein auf dem Weg nach unten.

Dieser Zugang ist nur bedingt romantisch, spirituell erhebend schon gar nicht. Hier oben ist der Dom eine Baustelle, die er immer schon gewesen und bis heute geblieben ist: Nach seiner Grundsteinlegung 1248 dauerte es „schlappe“ 632 Jahre bis zu seiner vorläufigen Fertigstellung. Mal fehlte in der Zwischenzeit das nötige Kleingeld, mal war das Interesse am Bau des gotischen Doms über fast drei Jahrhunderte irgendwie abhandengekommen.

Feierlicher Einzug der Petersglocke 1924 in den Kölner Dom.

Feierlicher Einzug der Petersglocke 1924 in den Kölner Dom.

Foto: Hohe Domkirche Köln, Dombauhüt/Jennifer Rumbach Repro
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Foto: David Grzeschik

Ein hübsches Sinnbild fürs Kölsche „Baumanagement“ war der riesige hölzerne Baukran. Seit dem 14. Jahrhundert thronte er auf dem unfertigen Südturm – 500 Jahre lang, bis er 1868 demontiert wurde. Die Kölner dürften ihn als eine Art Wahrzeichen ihrer Stadt in ihr großes Herz längst eingeschlossen haben. Heute existiert von ihm nur noch ein kleines Modell.

Auf unserem Weg in den Glockenturm geht’s vorbei an ein paar Episoden dieser wundersamen Baugeschichte: an alten, ausgedienten Lichtschaltern, früheren Sicherungskästen, historischen Bildern und mächtigen Eisenträgern am Boden. Falsch. Denn diese meterlangen Ungetüme sind tatsächlich Glockenklöppel, ausgediente, beschädigte. Zeugnisse unter anderem einer Havarie im Glockenturm, der in die Baugeschichte als „Klöppelbruch“ eingegangen ist. Ausgerechnet am Dreikönigstag reißt Anno Domini 2011 der 800 Kilo schwere Klöppel der großen Petersglocke und stürzt auf die Wartungsebene des Glockenstuhls, wird aber von den Stahlstreben im Turm aufgefangen. Den Rumms soll man noch auf der Domplatte gehört und gespürt haben. Auch die Erdbeben-Messstationen im Dom dokumentierten die Erschütterungen.

So komisch es klingen mag: Der Klöppelbruch war ein Glücksfall. Der Unfall war nämlich nicht einer Materialermüdung geschuldet, wie zunächst angenommen. Vielmehr war er unsachgemäß montiert worden und hätte die Glocke in dem kommenden Jahr erheblich beschädigt. Ausgerechnet die riesige Petersglocke! – die aber niemand Petersglocke nennt, sondern immer nur den Dicken Pitter.

Alle lieben ihn, und viele halten ihn für die größte Kirchenglocke der Welt. Was nicht stimmt. Dann wenigstens für die einzig wahre Glocke. Und auf der Suche nach irgendeinem belastbaren Rekord ist man schließlich auch fündig geworden: Die 24 Tonnen wiegende Petersglocke soll mit ihrem Durchmesser von 3,22 Meter zumindest die tontiefste freischwingende Glocke der Welt sein.

Zu ihr hinauf sind es dann nur noch ein paar Stufen, hinauf also zum berühmten Geburtstagskind. Vor 100 Jahren - am 5. Mai 1923 - wurde sie im thüringischen Apolda von der Firma Ulrich gegossen, ins hillije Köln geschafft, wo sie Mitte November 1924 eintraf und zwei Wochen später von Erzbischof Kardinal Joseph Schulte (1871-1941) am Hauptportal des Domes geweiht wurde.

Das hört sich im Schnelldurchlauf alles schön und unproblematisch an. War es natürlich nicht. Es fing schon bei der Suche nach einer Gießerei an, die nicht nur in der Lage war, eine solch riesige, auch vom damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer gewünschte Glocke zu gießen, sondern die auch das finanzielle Risiko in diesen unsicheren Nachkriegszeiten auf sich nehmen wollte. Das Metall soll mehr als eine Million Mark gekostet haben; zusätzlich verlangte man darum noch 5000 Dollar als Sicherheit. Noch hatte man die Kölner „Kaiserglocke“ in Erinnerung, die 1878 in den Turm hinaufgezogen worden war, die von gut zwei Dutzend Deutzer Kürassieren an den Seilen geläutet wurde, die nie den gewünschten Klang erreicht und die betreffende Glockengießerei in den Konkurs getrieben hatte. Im Juni 1918 wurde sie demontiert und eingeschmolzen - zur Gewinnung von kriegswichtigem Material, wie es damals so kühl bürokratisch hieß.

Auch der Dicke Pitter machte so seine Schwierigkeiten und zunächst seinem Namen alle Ehre. Weil er nicht durch die Turmtüren passte, musste erst einmal der Mittelpfeiler des Hauptportals ausgebaut werden. Auch zog sich der Weg in den Glockenstuhl über mehrere Wochen hin. Heiligabend 1924 sollte es dann so weit sein. Doch ein technischer Fehler machte einen Strich durch die Kölner Rechnung. Drei Schläge ertönten, dann war erst einmal Feierabend im Südturm. Erst zehn Monate später ließ der Dicke Pitter das Herz der Kölner höher schlagen.

Mit diesen Geschichten im Kopf stiefeln wir also in den Südturm weiter hoch und stehen zwar nicht in Reichweite, aber doch in guter Selfie-Distanz vor der Petersglocke. Mit uns natürlich etliche Touristen. Wer es bis hier oben geschafft hat, will sich vor dem Dicken Pitter auch fotografieren lassen. Und alle warten natürlich auf den Glockenschlag. Den gibt es aber nicht. Er wäre auch nicht sonderlich empfehlenswert. „Mit etwa 117 db liegt seine Lautstärke im Bereich von Kreissägen und Presslufthammern inklusive möglicher Hörschädigung“, sagt uns Glockenexperte Jörg Sperner, der Assistent des Dombaumeisters ist. Es reicht also, dass uns ein unerwarteter Glockenschlag dann doch ordentlich zusammenschrecken lässt – ein Lebenszeichen von der kleinsten Glocke im Turm.

Die Petersglocke bleibt stumm, weil es die strenge Läuteordnung so will. Und die sagt: Die beiden Elektromotoren bringen den Dicken Pitter nur an hohen kirchlichen Feiertagen in hörbare Schwingung wie auch zu ganz besonderen Anlässen. Das war etwa beim Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 der Fall und zur deutschen Wiedervereinigung. Aber auch den Tod eines Kölner Erzbischofs und eines Papstes verkündet die Petersglocke.

Zu seinem 100. Geburtstag, der in Köln unter anderem mit einem Kolloquium zur Glockenkunde gefeiert wird, ist der Dicke Pitter noch einmal gründlich geschrubbt und von Vogelkot befreit worden, mit Bürsten, Schwämmen und Besen. Damit das so bleibt, sollen die Schall-Luken im Turm mit Netzen abgeschirmt werden. Und einen neuen Klöppel hat die Glocke auch längst bekommen – schon am 6. Dezember 2011 nahm er seinen Dienst auf. 3,20 Meter ist er lang und bedeutend leichter: Er wiegt nur noch 600 Kilo.

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