Exklusiv: Klaus Maria Brandauer über Krisenzeiten „Brot ist wichtiger als Kultur“

Interview | Düsseldorf · Auch für den Oscar war er schon nominiert: Klaus Maria Brandauer zählt zu den wenigen deutschsprachigen Schauspielern von internationaler Bedeutung. An seine frühere Wirkungsstätte Düsseldorf kehrte der 78-Jährige jetzt als Gastprofessor für eine Heine-Vorlesung zurück.

 Schauspieler Klaus Maria Brandauer während unseres Interviews im Breidenbacher Hof

Schauspieler Klaus Maria Brandauer während unseres Interviews im Breidenbacher Hof

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Ist Ihre Rückkehr nach Düsseldorf auch mit Erinnerungen verbunden? Sie spielten hier am Düsseldorfer Schauspielhaus unter der Intendanz von Karl-Heinz Stroux …

Brandauer … vor allem mussten wir Schauspieler immer zu den Spielen von Fortuna und den Spieler Peter Meyer anfeuern. Stroux besorgte dann einen Bus, und alle fuhren mit. Er hat sich genau gemerkt, wer nicht dabei war. Schauspielerisch war Düsseldorf für mich eine sehr wichtige Zeit. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Vorstellungsgespräch das Theater gesucht und dann vor dem damals alten Schauspielhaus gestanden habe. Es schaute aus wie so ein altes DDR-Kino – und ich kam aus dem Salzburger Land! Aber dann war es doch eine gute Zeit.

Wie erleben Sie die Gegenwart mit all den Krisen und jetzt auch dem Krieg in der Ukraine? Schauspieler brauchen Öffentlichkeit, die aber ist Ihnen viele Monate unmöglich geworden.

Brandauer Ich habe mir nicht vorstellen können, dass die Corona-Pandemie so lange dauern würde. Und wie es ist, wenn fast alle Menschen selbst bei uns im Dorf einfach zuhause bleiben. Alle erlebten plötzlich das gleiche. Und es gab eine neue Form von Zuwendung, die aber völlig unpersönlich war.

Können Sie sich an eine vergleichbare Krisenzeit erinnern?

Brandauer Wissen Sie, Solange ich auf der Welt bin, war eigentlich nie richtig Ruhe. Irgendwo hat es immer gebrannt, wurde gezündelt. Dass der Krieg jetzt nicht weit von uns weg ist, macht Angst, selbstverständlich. Der Krieg kann jederzeit zu uns übergreifen; soweit ist das alles gar nicht entfernt. Man staunt, dass so etwas überhaupt möglich ist. Und ich möchte keiner von denen sein, die jetzt auf dieses Verbrechen Antworten geben und Entscheidungen treffen. Sie müssen alle Folgen bedenken. Hand aufs Herz: Soll man jetzt noch mehr Waffen schicken? Ich habe darauf keine guten Antworten.

Gibt es denn einen Weg, eine Chance, auch aus dieser Zeit etwas zu lernen, wenigstens etwas besser zu begreifen?

Brandauer Was zumindest wieder deutlich geworden ist, sind diese eigentlich sehr einfachen Dinge: dass wir doch miteinander reden müssen und dass wir uns aneinander halten können. Warum kommen wir nicht zusammen? Die Politiker telefonieren doch permanent miteinander, besuchen einander. Menschen, die gleichzeitig auf der Welt sind, haben einfach die Verpflichtung, einander zu verstehen. Und ich bin erstaunt darüber, dass die Menschen, die wir mit unserer Stimme beauftragt haben, unsere Sachen in die Hand zu nehmen, ziemlich arglos waren. Allerdings ich muss auch gestehen, dass ich daheim auf dem Land in Altaussee vor allem in der Corona-Zeit gut über die Runden kommen konnte.

Ist Altaussee als Heimat- und Rückzugsort für Sie auch das Fleckchen einer noch heilen, intakten Welt?

Brandauer Wenn man dort als Kind aufwächst, ist man natürlich befreundet mit jedem Grashalm und allem, was man da vorfindet. Aber einen Rückzugsort möchte ich gar nicht haben. Ich möchte mit denen, die ich kenne, eine Dorfgemeinschaft sein. Und das ist schön und einfach fabelhaft. Auch politisch scheint man in diesem überschaubaren Raum seine Sache noch selbst in die Hand nehmen zu können. Wenn irgendetwas gar nicht funktioniert, darf der Zuständige und Verantwortliche eben nicht mehr ins Wirtshaus kommen.

Welche Rolle spielt das Theater in diesen Zeiten. Ist es wichtiger denn je? Oder wird es auch Blessuren davontragen?

Brandauer Wenn der Bäcker um die Ecke streikt oder keine Waren hat, ist der Teufel los. Aber wenn das Theater mal zugesperrt wird, passiert das eben nicht. Und das ist auch in Ordnung so. Denn das Brot ist erst einmal wichtiger als die Kultur. Ich denke die ganze Zeit, dass wir Kulturschaffende in dieser Zeit zurechtgestutzt werden. Wir sind so wichtig nicht! Dagegen würde ich ja gerne anrennen. Aber vielleicht braucht man uns in den entscheidenden Augenblicken doch nicht so sehr wie wir immer dachten. Wissen Sie, ich habe in meinem Leben den Tod am laufenden Band gespielt. Es gibt kaum ein Stück, in dem ich nicht ermordet, erschossen oder erstochen wurde oder mich selbst getötet habe. Scheinbar ist das alles sehr leicht. Aus dem Spielerischen kommen wir nicht heraus. Aber damit können wir eigentlich jetzt nichts anfangen, oder?

Wie erleben Sie die Botschaften und Auftritten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj?

Brandauer Mir sind bei seinen Ansprachen einige Male durchaus die Tränen gekommen. Das ist ein kraftvoller Mensch. Er hat gemerkt, dass er eine Berufung gefunden hat. Das ist nicht jedermanns Sache. Oder schauen Sie sich doch bitte die Klitschko-Brüder an, die jederzeit nach Amerika fliegen und dort auch für ihr Land sammeln könnten. Aber nein, sie sitzen beide dort und bleiben in ihrem Land.

Warum sollte uns ausgerechnet in diesen schwierigen Zeiten ein Dichter wie Heinrich Heine interessieren, der vor über 150 Jahren gestorben ist und für den sie zur Gastvorlesung in seine Geburtsstadt gekommen sind?

Brandauer Zunächst habe ich Heine schon als 14-Jähriger näher kennengelernt – und zwar durch den Korvettenkapitän Karl Renner, der jedes Jahr bei meinen Großeltern Feriengast war. Der fragte mich, was ich so lesen würde? Den „Lederstrumpf“ sagte ich, und außerdem Mozartbriefe, die mir meine Mutter verordnet hatte, um mir klar zu machen, was ich alles nicht draufhatte. Mozart mochte ich also nicht. Aber weil ich ein paar Gedichte schon von Heine gehört hatte, sagte ich noch Heine. Darauf der Kapitän voller Verehrung: „dieses hochbegabte Bürschel!“

Was bedeutet Ihnen Heinrich Heine denn heute noch?

Brandauer Also, ich mag ihn bis heute wirklich gern. Er ist dermaßen direkt und authentisch! Es gibt bei ihm einfach keine Luftnummern; er ist ein Mensch mit einem großen Gefühl für Wahrhaftigkeit. Heine ist einer, der sagt, er könne auf den Glauben pfeifen, aber es dann nicht tut: weil er ihn braucht.

Was würde Heine heute tun? Weiter schreiben?

Brandauer Ja, aber vielleicht wäre er heute militanter, lauter, rigoroser und kräftiger in seiner Direktheit. Feinde hat er ja damals schon genug gehabt.

Gibt es etwas bei Heine, was Sie auch gerne wären?

Brandauer Natürlich wäre ich liebend gern so ein begabtes Bürschel. Ist das für uns nicht eine Unverschämtheit? Eine solche Begabung! Und auf so vielen Gebieten! Man glaubt es einfach nicht. Er hat etwas für die ganze Welt geschaffen, was man immer wieder brauchen kann.

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