Gastbeitrag des Kirchenrechtlers Thomas Schüller Missbrauchsstudie aus Münster soll wachrütteln

Meinung | Münster · Das Bistum Münster geht mit einer neuen Studie einen neuen Weg in der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche. Diese Untersuchung könnte wegweisend sein, so der Theologe.

 Professor Thomas Schüller, Direktor des Instituts für Kanonisches Recht der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Foto: Lars Berg/KNA

Professor Thomas Schüller, Direktor des Instituts für Kanonisches Recht der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Foto: Lars Berg/KNA

Foto: Lars Berg/KNA

Das Bistum Münster geht einen ganz eigenen Weg bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch durch Kleriker und Ordenspriester, die in dieser Diözese gearbeitet haben. Ein Forschungsteam um den Historiker Thomas Großbölting erhält Zugang zu allen Akten, ist bei bei der Wahl, mit wem und über was es spricht, völlig frei und kann am Ende ohne vorheriges Einsichtsrecht oder einen Genehmigungsvorbehalt des Bistums Münster seine Forschungsergebnisse veröffentlichen. Dafür verantwortet dieses Team auch rechtlich diese Veröffentlichung, was zurzeit nicht einfach ist, was die beschämenden Ereignisse im Erzbistum Köln belegen. Spezialisierte Kanzleien beraten noch lebende kirchliche Entscheidungsträger und tragen persönlichkeits- und äußerungsrechtliche Bedenken vor, damit das aktive Vertuschen und das Benennen von Verantwortlichen nicht an die Öffentlichkeit kommen soll.

Größbölting wird also gut beraten sein, bei seiner Studie, die vor allem systemische Aspekte beleuchten wird, die im kirchlichen Kontext in besonderer Weise den Missbrauch und sein Vertuschen begünstigt haben, rechtliche Expertise einzuholen, um sich zum einen auf der Grundlage des Stasiaktenunterlagengesetzes wie auch nach der strenger werdenden Rechtsprechung in äußerungsrechtlichen Fällen abzusichern. Nachdem in Aachen ein erster gelungener Bericht der renommierten Kanzlei Westphal, Spilker und Wastl vorliegt, der stärker aus den Blickwinkeln des staatlichen und kirchlichen Rechts, aber mit dem sinnvollen Aspekt der Benennung von Verantwortungsträgern auf der Folie des Ethos der katholischen Kirche, für eine juristische Aufarbeitung Standards gesetzt hat, eröffnet der Münsteraner Weg neue Perspektiven. In verschiedenen Zugängen zu den Quellen und Beteiligten bietet sich die Chance, historisch die Rahmenbedingungen zu rekonstruieren, die dieses schreckliche Verbrechen an Kindern und Jugendlichen im scheinbaren Schutzraum der katholischen Kirche ermöglicht haben.

Daraus kann für die Zukunft gelernt werden. In vergleichbarer Weise arbeitet für das Bistum Essen seit 2019 das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (München). Auch hier werden systemische Faktoren verstärkt aus sozialwissenschaftlicher Perspektive untersucht, die Missbrauch befördert haben. Hinzu kommt hier noch wie bei der 2013 abgebrochenen Pfeifferstudie die exemplarische Befragung von noch lebenden Tätern. Diese drei Zugänge in Aachen, Münster und Essen verdeutlichen, dass es den einen Königsweg in der wissenschaftlichen Aufarbeitung nicht gibt, sondern am Ende der interdisziplinäre Zugang wohl zu den aussagekräftigsten Ergebnissen führen wird.

Hierzu gehören auch kirchenrechtlicher Sachverstand und eine luzide Kenntnis, wie kirchenrechtliche Normen in der Praxis nach 1945 angewandt oder eben einfach ignoriert wurden. Man darf den Münsteraner Forscherinnen und Forscher wünschen, dass ihre Studie wachrütteln und den heutigen Entscheidungsträgern wertvolle Einsichten vermitteln wird.

Unser Gastautor Professor Thomas Schüler (59) ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Universität Münster. Unter anderem ist er Mitglied des unabhängigen Fachberaterstabes im Bistum Münster für Fälle von sexuellem Missbrauch.

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