Düsseldorf Katharina Sieverdings Licht im Raum

Düsseldorf · Auf Schloss Moyland zeigt die Künstlerin ihre Ausstellung "Weltlinie 1968 - 2013". Im Zentrum steht eine blaue Sonne aus Nasa-Bildern.

Düsseldorf: Katharina Sieverdings Licht im Raum
Foto: Horst Ossinger

Ohne Kamera geht sie nicht vor die Tür. Ihre Leica hat Katharina Sieverding auch bei unserem Treffen auf Schloss Moyland dabei. Vielleicht ein Instrument der Selbstverteidigung. Kommt ihr jemand zu nah, drückt sie ab. Jetzt wollen wir aber ihre neue Ausstellung ansehen, darüber sprechen, die Inszenierungen begutachten. Das geht nur, wenn man den Menschen, die Künstlerin, miteinbezieht. Sie kommt mit ihrem Sohn Orson nach Moyland, Orson ist den alten Mercedes gefahren. Katharina Sieverding trägt wie immer Schwarz – ihre roten gegelten Haare streng nach hinten, zwei dünne Zöpfe zum Abschluss. Ihr geschwungener Mund ist kirschrot getönt, der Teint makellos, die dunkle Brille nimmt sie von Zeit zu Zeit ab. Dann packt sie ein einzelnes Brillenglas aus, das sie sich vorhält, um zu lesen.

Sie ist von diesem Ort angetan, an dem sie niemals war, bevor sie Museumsleiterin Bettina Paust zur Ausstellung "Weltlinie 1968 - 2013" ermunterte. Als sie erstmals die Halle besichtigte, lag das 700 Jahre alte Wasserschloss im Nebel da. Sie war ganz alleine in den Räumen unterwegs. Hättest du doch jetzt Goldbonbons von Felix Gonzalez-Torres dabei, um die Fährte für den Rückweg zu legen! Das sei ihr damals durch den Kopf gegangen.

Jetzt setzt die Sonne das neugotische Ensemble in gleißendes Licht. Sieverding schaut vom Hof aus auf das Grün vor dem Fenster der Ausstellungshalle. "Hoffentlich schneidet das niemand ab, das Rauschen der Baumkronen ist sexy", sagt sie. Von außen kann man nicht wirklich auf die Galerien in der Halle schauen. Dort hat die Künstlerin Serien angebracht, die auf Basis von Pressefotos entstanden. Es sind Zeugnisse politischer und gesellschaftlicher Ereignisse. Sie hat ihre Archive gesichtet. An einer Wand hängen Fotos von "Spiegel"-Ausgaben in einem Karton, ein Cover ist herausgestellt als Erinnerung oder Mahnung. Manches Problem in unserem Land und auch international stellte sich vor 30 Jahren nicht viel anders als heute. "Ich nutze die Attraktion der Pressebilder und versuche dabei, die momentane Faszination der Massenbilder zu hinterfragen: Was steckt hinter der Propaganda für das Jetzt?"

An der gegenüberliegenden Wand in Serie Einladungskarten zu Vernissagen, große Namen wie Warhol und Beuys, Weggefährten wie Palermo oder Imi Knoebel. Was auffällt: Sie werden weniger im Lauf der Jahre. Die E-Mail hat uns ein Stück Ausstellungsgeschichte geraubt.

Die Eindeutigkeit dieser neuen Arbeiten von Sieverding überrascht, hat sie doch ihre internationale Bedeutung durch Komplexität und unbegrenzt scheinende Experimentierfreude errungen. Sie arbeitet mit Überblendungen und Mehrfachbelichtungen, Montagen, Solarisation oder radiografischen Verfahren. Oft setzt sie uns rätselhafte Bilder vor. Ihre Kunst des Lichts entsteht in einem einsamen Prozess: "Das Labor ist ein Ort alchemistischer Vorgänge, die mich sehr erregen." Schon vor den Becher-Schülern hatte Sieverding in den 1970er Jahren Großfotos im Format von Plakaten oder ganzen Plakatwänden erschaffen. Häufig ist sie darauf selber abgebildet, ihr Gesicht in Gold gepudert oder grell geschminkt – kalkuliertes "Ego-Theater" (Norman Bryson).

Dass Katharina Sieverding Fotografin geworden ist, ist der Zeit geschuldet, in der sie groß geworden ist. Sie war eine Rebellin, ihre Berufsfindung ein emanzipatorischer Akt. Statt Medizin zu studieren, wie ihre Eltern es sich vorstellten, begann sie ein Volontariat am Hamburger Schauspielhaus. Das führte sie mit Größen wie Gustaf Gründgens und Fritz Kortner zusammen, aufwühlende Theatererlebnisse prägten diese Zeit und die angehende Künstlerin. Sie wechselte an die Kunstakademie Düsseldorf, studierte Bühnenbild bei Teo Otto. Eines Tages gab Joseph Beuys seinen Lockruf ab: "Es ist doch ganz egal, was Hamlet anhat. Wir diskutieren unten in Raum 20 die ganzen gesellschaftlichen Fragen. Kommt runter in meine Klasse!" Der Übergang war schnell beschlossen. "Ich wollte ein eigenes Statement formulieren", sagt Sieverding rückblickend, "die Fotografie war für mich ein Lichtblick." Zunächst malte sie, zeichnete und schuf die einzige Skulptur ihres Lebens – zusammen mit Imi Knoebel, dem Mann, mit dem sie kurze Zeit verheiratet war. "Der große Imi hat mir dann seine Kamera mal geliehen", erzählt sie, "Ich war überrascht, wie erhellend das war."

Gerne gebraucht Katharina Sieverding den Begriff der Transformation, er ist ihre Zauberformel. Transformationsakte dienen ihr dazu, Aussehen, Inhalt oder Anordnung eines Objekts oder einzelner Elemente eines Systems zu verändern, umzudeuten. Solche Prozesse kennzeichnen ihr Werk, das sie nun auf Schloss Moyland retrospektiv verarbeitet. In einer Vier-Kanal-Installation hat sie die Bilder ihres Lebens aneinandergesetzt. Diese "Weltlinie" umspannt die Jahre 1968 bis 2013, sie verläuft zwischen Raum und Zeit, markiert die weltpolitische Lage. "Sie glüht", sagt Sieverding. "Kalter Krieg, heißer Krieg, die rote Linie. Darum geht es."

Mittendrin die zentrale Arbeit dieser Ausstellung, ein überirdisch scheinender Akt, die blau strahlende Sonne, raumhoch, aus 100 000 von einer NASA-Sonde gespeicherten Einzelbildern zusammengesetzt. "Die Sonne um Mitternacht schauen", heißt der Film, der den Himmelskörper spiegelt. Förmchen explodieren auf dem vitalen Planeten, dessen Struktur einer Gebärmutter im Ultraschallbild gleicht. "Die Sonne ist unantastbar, sie ist der Souverän im Kosmos, das Symbol für Geistigkeit." Sieverding und die Sonne sind lange ein Paar.

Politik ist Thema, Gesellschaft, der Mensch, der Kosmos, Empathie – die in Moyland versammelten Arbeiten enthüllen die künstlerische DNA einer Frau, die einzelgängerisch und überragend in ihrer Generation da steht, die sich dem Kunstmarkt nicht andient. Sie treibt es mit forschendem Drang beständig zu ihrer eigenen Erneuerung.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort