Interview mit Autorin Karen Duve „Gerne wäre ich der Droste nicht begegnet“

Die Autorin wird für ihren historischen Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ mit dem Düsseldorfer Literaturpreis geehrt.

 Die Schriftstellerin Karen Duve - in der Pose ihrer Romanfigur: Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848).

Die Schriftstellerin Karen Duve - in der Pose ihrer Romanfigur: Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848).

Foto: Galiani Verlag/K. Ahlrichs

Was für ein ungeheurer Roman ist das, für den Karen Duve (57) in der kommenden Woche im Forum der Stadtsparkasse mit dem Düsseldorfer Literaturpreis geehrt wird: „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ – ein Buch über die junge Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Auf fast 600 Seiten erzählt Duve darin die Geschichte des Sommers 1820. Auf dem westfälisch-idyllischen Bökerhof lernt Annette von Droste-Hülshoff zwei junge Männer kennen – übermütig und begehrenswert ist August von Arnswaldt, liebenswürdig, hochbegabt, doch mittellos der Student Heinrich Straube. Zu ihm vor allem fühlt sich die Dichterin hingezogen. Am Ende werden beide die junge Frau verleumden und sie unmöglich machen.

Haben Sie sich jemals vorstellen können, einen richtigen historischen Roman zu schreiben?

Duve Ja.

Das klingt nach einem Bekenntnis.

Duve Tatsächlich habe ich das schon vorgehabt und habe es immer nur vor mir hergeschoben. Wobei ich vor allem fürs historische Mittelalter interessiert habe, so eine Art 19. Jahrhundert-Vorstellung des Mittelalters. Als ich dann aber ein Buch aus dem späten und glanzvollen 19. Jahrhundert las und darin die traurige Liebesgeschichte der Annette von Droste-Hülshoff fand, war klar, dass ich darüber ein Buch schreiben wollte. Eine absolute Zufallsentscheidung war das.

Das 19. Jahrhundert ist ja eine spannende Zeit voller Entdeckungen hierzulande. Man entdeckt plötzlich die Nation und ein nationales Gefühl, die Natur, die Romantik, die romantische Liebe ...

Duve Es ist auch so eine Öko-Zeit. Die Romantiker sind auch welche, die herumjammern, wenn irgendwelche Bäume gefällt werden. Denen war damals schon alles zu schnell.

War es damals den Menschen bewusst, dass jetzt etwas Neues passiert?

Duve Die hatten sogar einen Überdruss daran, dass ständig etwas Neues passierte: In Westfalen, wo der Roman spielt, gab es erst ein Fürstentum, dann kamen die Preußen, dann gab es die Säkularisation. Es änderte sich viel für die Menschen, vor allem für den Adel, die plötzlich Leistung zeigen mussten, als bisherige Einnahmequellen versiegten. Sie mussten mit den Bürgerlichen in einen Wettbewerb treten. Vieles war plötzlich in Frage gestellt. Alle mussten jetzt einfach sehen, wie sie in dieser neuen Welt zurecht kamen.

Das hört sich nach einer umfangreichen Recherche. Sie begeben sich sehr genau in die überlieferte Vergangenheit. Wie groß ist die Gefahr, eines vermeintlichen Fehlers überführt zu werden – obwohl es ja ein Roman ist?

Duve Ich habe in beide Richtungen kleine Zugeständnisse gemacht. Das, was historisch nachvollziehbar war und tatsächlich passiert ist, hat schon eine sehr schöne Geschichte hergegeben. Ich habe mich aber auch immer gefreut, wenn die Situation nicht so ganz klar war und sich eine Chance ergab, schriftstellerische Freiheiten zu nutzen. Und ausgerechnet da, wo ich nur ein bisschen gewagt habe, bin ich direkt erwischt worden. Es ging um das falsche Hochzeitsdatum einer Nebenfigur. Dazu hat sich dann ein Nachfahre bei mir gemeldet. Aber der war gar nicht böse, sondern hat sich gefreut, dass ich seinen Vorfahren überhaupt erwähnt hatte.

Ist das überhaupt ein historischer Roman? Oder ist es vielmehr ein aktueller Roman nur vor historischer Kulisse?

Duve Nein, es ist schon ein historischer Roman. Mir sind natürlich schon die Dinge aufgefallen, die heute noch aktuell sind. Aber die musste ich nicht ausdenken oder suchen. Es war auch bestürzend, wie so ein Nationalismus entsteht und sofort mit dem Antisemitismus einhergeht. Und wie es in kurzer Zeit die gesellschaftlichen Schichten durchdringt. Doch eigentlich ging es mir nur um diese Liebesgeschichte und sollte ein 180-Seiten-Büchlein sein. Also schnell rein in die Geschichte und auch schnell wieder raus. Dass ich es dann so ausgewalzt habe, ist der Faszination geschuldet, die mich erwischt hat.

Die Droste scheint also etwas gegen 180 Seiten gehabt zu haben.

Duve Das ist so gekommen: Bis zum Sommer 1820 ist alles aufbewahrt worden, dann hat die Familie eifrig weggeworfen; aber kurz danach wird wieder alles aufbewahrt. Deswegen habe ich es umgekehrt wie so ein Profiler angestellt und habe mir eben angeschaut, wie die Charaktere sind, wie sie funktionieren, wie sie sich vorher benommen und wie hinterher; und was letztlich passiert sein könnte im historisch Möglichen und im psychologisch nicht ganz Unwahrscheinlichen.

Hat sich Annette von Droste-Hülshoff während der Arbeit am Roman für Sie verändert?

Duve Es ist nicht so, dass ich ihr unheimlich gerne begegnet wäre, so dass ich glauben würde, ich hätte mich mit ihr sofort verstanden. Ich habe sie zwar während der Arbeit am Roman lieb gewonnen, aber ich möchte diese Liebe nicht unbedingt auf die Probe stellen.

Warum sollten wir heute noch Annette von Droste-Hülshoff lesen?

Duve Weil sie sehr gut schreiben kann. Weil sie großartig ist indem, was sie an Naturbeobachtungen bringt. Weil sie einen sehr eigenen Humor hat und die erste gewesen ist, die mit der „Judenbuche“ so eine Art realistischen Krimi geschrieben hat. Dieses Buch, das uns alle in der Schule so gequält hat, sollte man sich ruhig einmal vornehmen. Die Pflicht ist eben doch ein eisiger Schatten. Eine freiwillige Lektüre gibt auf dieses Buch noch einmal einen ganz anderen Blick.

Ihr Roman beginnt mit dem Satz, dass alles, was im Sommer 1820 auf dem Bökerhof vorgefallen ist, im Dunkeln liegt. Formuliert Sie damit auch Ihren Schreibauftrag?

Duve Ich habe die Arbeit an dem Roman wie eine Schatzsuche empfunden – mit dem Wunsch, rauszukriegen, wie es damals gewesen sein könnte. Ich wollte nah ran kommen, vor allem aber wollte ich dieser armen Frau und Schriftstellerin Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie gilt ja so ein bisschen als muffig. Aber eigentlich war sie ein ganzes wildes, sexuelles Wesen, der man ganz übel mitgespielt hat. Und es ist das tragische Leben einer Frau in dieser Zeit: dass jemand, der so begabt war wie sie, so wenige Bücher geschrieben hat und schreiben konnte, weil die Familie sie so sehr eingespannt hat für kleine, im Grunde nichtige Arbeiten. Das war der Familie damals wichtiger, als dass die begabte Tochter Weltliteratur schaffen konnte.

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