Olaf Scholz, der Katholikentag und die Ukraine „Es muss so sein, aber es verändert uns“

Stuttgart · Zeitenwende auch auf dem Katholikentag: Kanzler Olaf Scholz ist nach Stuttgart gekommen und rechtfertigt die Waffenlieferungen wie auch die geplante Aufrüstung. Das sei nötig, aber „es verändert uns“, so Scholz.

 Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Stuttgarter Katholikentag - im Beethoven-Saal des Kongresszentrum Liederhalle.

Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Stuttgarter Katholikentag - im Beethoven-Saal des Kongresszentrum Liederhalle.

Foto: dpa/Marijan Murat

„Putin darf mit seinem zynischen Krieg nicht durchkommen“ – darum die Sanktionen, darum auch die Lieferung von Waffen.
Kanzler Olaf Scholz ist da und mit ihm das Reden über den Krieg in der Ukraine auf dem Stuttgarter Katholikentag endgültig angekommen. Sicher, schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zuvor beim Eröffnungsgottesdienst im Schlossgarten Wladimir Putin zum sofortigen Ende seines Aggressionskrieges aufgefordert. Viele Tücher in den Farben der Ukraine wurden darauf in die Höhe gehalten. Und natürlich sind auch solche Zeichen wichtig. Aber sie helfen oft mehr jenen, die sich solidarisch zeigen, als denen, die diesen Krieg führen und erleiden müssen.

„Zeitenwende“ – das ist ein großes Wort, das Olaf Scholz oft im Munde führt. Es sei nach wie vor ein „passender Begriff“, sagt er jetzt in Stuttgart, da wir spürten, dass dieser Krieg nicht nur gegen die Ukraine geführt werde, sondern auch gegen unsere Werte. Das werfe ethische Fragen auf: „Darf Gewalt mit Gewalt bekämpft werden? Oder lässt sich Frieden nur ohne Waffen schaffen?“ – wie der Slogan der Friedensbewegung einst lautete? All die unterschiedlichen Ansichten müsse man mit Respekt begegnen; aber: „Wir haben uns entschieden, den Opfern des Krieges beizustehen“, so der Bundeskanzler. Und er erinnert an die jüngsten Worte von Militärbischof Franz-Josef Overbeck, wonach es keine bedingungslose Gewaltlosigkeit geben könne.

Wenn jene Verständigung aufgekündigt würde, dass man Grenzen nicht mit Gewalt verschieben darf, sei nach den Worten von Scholz die Gesellschaft herausgefordert. Auch darum habe man sich zur Aufrüstung entschlossen. „Es muss so sein, aber es verändert uns“, so der Kanzler. Aber ist das auch wirklich nötig? „Ja“, entgegnet er dem Publikum, weil man deutlich zeigen müsse, „dass großflächige Angriffe auf das Gebiet der NATO nichts werden“.

Der mit viel Zustimmung begleitete Auftritt des amtierenden Kanzlers in Stuttgart ist auch ein Bedeutungsbeleg für den Katholikentag. Angela Merkel, die bekennende Protestantin, war fast jedes Mal dabei. Olaf Scholz, bekennend konfessionslos, setzt diese Tradition jetzt erst einmal fort.

Es gibt in Stuttgart aber auch Meinungen, die weniger um Konsens bemüht waren. Kein Blatt vor dem Mund nahm etwa Andrij Waskowicz. Der frühere ukrainische Caritas-Direktor warf in Stuttgart Putin einen Genozid an der Bevölkerung vor wie auch den Versuch, ein Land komplett auszulöschen. Sollte man da dem Aggressor etwa territoriale Zugeständnisse machen? Und was geschieht dann mit den Menschen, die dort leben? Für ihn ist es fraglos, dass am Ende nur mit Waffen eine Lösung gefunden werden könne. „Russland muss zurückgedrängt werden, und zwar mit Waffensystemen, die dazu auch geeignet sind“, sagte er. Und: „Die Opferzahlen werden nicht gesenkt, indem man nachgibt.“

 Teilnehmer Friedenskundgebung „Solidarität mit den Menschen in der Ukraine“ auf dem Katholikentag in Stuttgart.

Teilnehmer Friedenskundgebung „Solidarität mit den Menschen in der Ukraine“ auf dem Katholikentag in Stuttgart.

Foto: dpa/Marijan Murat

Auf dem Katholikentag dürften allzu viele die kompromisslose Haltung von Andrij Waskowicz zwar nicht teilen. Widersprechen aber wollte ihm auch niemand. Und zu Recht nicht seiner Einschätzung, dass die Gewalt in der Ukraine im Grunde ein „vergessener Krieg“ sei, der mit der Eroberung der Krim bereits seit 2014 existiere und der die ganze Gesellschaft des Landes seither gelähmt habe.

 Waskowicz erinnerte aber auch daran, dass dieser Krieg nicht nur mit Waffen geführt werde, sondern auch „mit Gasleitungen, globaler Ernährungsunsicherheit und Migration“. Gerade mit der großen Zahl von Flüchtlingen sollen nach seinen Worten jene Gesellschaften „strapaziert“ werden, die an der Seite der Ukraine stünden. „Hunger ist zum Kriegsinstrument geworden“, mischte sich in die Debatte auch Eckart von Hirschhausen in seiner Bibelauslegung ein. Das sei ein Verbrechen an der Menschheit, merkte der Arzt und Comedian an und ließ darauf ein wenig ratlos die Frage folgen, wer Putin eigentlich vor Gericht stellen könne.

Die Debatte über den Krieg in der Ukraine findet dann in Stuttgart einen ersten Abschluss genau dort, wo der Katholikentag am Mittwoch begonnen hatte: nämlich im Schlossgarten, diesmal mit einer kurzfristig organisierten Friedenskundgebung mit gut 1000 Teilnehmern. Mit dabei ist der apostolische Exarch der katholischen Ukrainer, Bischof Bohdan Dzyurakh. Auf der Bühne berichtet eine Ukrainerin, die mit ihrer kleinen Tochter vor Kurzem aus Butscha geflohen war, von ihrem Leid, den Leichen auf den Straßen und ihrer Bitte an die russischen Soldaten, ihnen auf der Flucht nicht in den Rücken zu schießen. Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, ist sichtlich bewegt von diesem Schicksal; die Friedensethik müsse neu befragt werden, sagt sie. Dennoch müssen Christen weiterhin ihr Vertrauen in die zivile Friedensarbeit setzen. Es bleibt bei all dem auch die Frage: „Können wir gemeinsam mit Russland wieder Frieden zulassen, ein Friede, der mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg?“

Das fünfte Gebot hält Christen unmissverständlich dies vor Augen: Du sollst nicht töten. Stetter-Karp wollte darauf im Gespräch mit dem Bundeskanzler keine schnelle Antwort finden. Sie beließ es bei einem Wort, dem sich viele anschließen dürften: Es sei ein tiefer „Zwiespalt“.

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