Kanye West – größter Popstar der Welt

Der 33-Jährige Rap-Produzent aus den USA gilt als erfolgreichster Künstler unserer Zeit. Soeben hat er sein Meisterwerk veröffentlicht, das Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy". Es degradiert mitwirkende Stars wie Alicia Keys und Chris Martin von Coldplay zu Randfiguren.

Das gab es lange nicht in der Popmusik: den männlichen Weltstar. Einer, der Musik für den Moment macht, ein Zeitgenosse, der mit jedem Album seine Gegenwart auf den Punkt bringt und der – das vor allem – von Millionen auf allen Kontinenten gehört wird. Bei den Frauen übernahm vor einem Jahr Lady Gaga den Thron von Madonna, bei den Männern folgte zunächst niemand auf Michael Jackson, der seinerseits seit Ende der 90er Jahre in der inneren Emigration verschollen war. Robbie Williams hat versucht, an die Spitze zu gelangen, er blieb irgendwo über dem Atlantik hängen – zu ironisch und britisch und klassisch –, und zuletzt fanden seine Alben in den USA nicht mal mehr einen Vertrieb.

Nun aber schwenkt wieder jemand das Zepter, es ist der Rap-Produzent Kanye West. Der 33-Jährige hat soeben sein fünftes Album veröffentlicht, es ist sein vierter Nummer-eins-Hit in Amerika, und "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" ist ein Stück musikalischer Raubtierkapitalismus, das unter weltverbesserischen Gesichtspunkten nicht ohne Qualen durchzuhören ist, das aber verdammt gut klingt und zudem äußerst gescheit gemacht ist – durchaus ein Höhepunkt des Genres. Die Stücke sind aus dem Besten der Pophistorie zusammengebaut, der maximal und bis zur Streberhaftigkeit informierte West sampelt ganze Refrains von Künstlern wie Steely Dan, Elton John, King Crimson und Can. Er puzzelt fremdes Material zu einem neuen Ganzen, singt Verse darauf, kauft Beats ein und lädt andere Stars ein, Textfetzen zu singen. Alicia Keys, Chris Martin von Coldplay und Fergie von den Black Eyed Peas werden dann lediglich im Kleingedruckten des Booklets erwähnt. So ist das mit König und Hofstaat, Unterwerfung gehört zum Protokoll.

HipHop ist längst nicht mehr der schwarze Ableger der Disco-Ära. Seit seiner Erfindung 1978 und der Kommerzialisierung, die mit dem Erfolg des Stücks "Rapper's Delight" der Sugarhill Gang 1979 begann, hat sich der Gossengeruch verflüchtigt – was auch daran liegt, dass Stars wie P. Diddy und Jay Z viel Chanel Égoiste über ihre Reime gekippt haben. Man trägt keine Achselshirts mehr, sondern Armani-Anzüge. Die Hauptdarsteller wuchsen nicht mehr im urbanen Ghetto auf, sondern in der Mittelschicht. Die Eltern von Kanye West sind denn auch Akademiker, und ihr Sohn sieht sich weniger als Rapper, als Poet mit einer Sendung also, sondern vielmehr als Impresario und Manager; sein Jahreseinkommen liegt passend dazu bei knapp 30 Millionen Dollar. Er hat bereits ein Vermögen verdient, als er nicht mal daran dachte, eine eigene Platte aufzunehmen. Als Design-Student tüftelte er daheim an ornamental-verspielten Beats, baute Rhythmen für die Kompositionen anderer Rapper. In den USA ist das ein gut dotierter Job, West bekam für jede Lieferung 90 000 Dollar. Und der damals noch auf höherem Niveau produzierende Jay Z fand Wests Arbeiten so zwingend, dass er sich von ihm 2001 das Meisterwerk "The Blueprint" einrichten ließ.

West weiß, dass er nicht wegen seiner Stimme in den Charts aller Industrieländer der Welt zu finden ist – das verbindet ihn mit Lady Gaga. Den Großteil der drei Millionen Dollar Produktionskosten für die neue Platte benötigte er für die Rechte an den gesampelten Melodiefragmenten. West ist eine Mischung aus dem Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg und Mario Adorfs Generaldirektor Heinrich Haffenloher aus "Kir Royal": Er verbindet Menschen und quetscht sie aus. Früher war Popmusik kapitalismuskritisch, bei West ist sie rein affirmativ, in jeder Hinsicht Produkt.

West setzt auf Überrumpelung. Auch Menschen, die nie Rap hören, begreifen seine Songs sofort. Er hat die Öffnung des Genres zum Pop vollendet. Beats und Reime stehen in der Tradition der Black Music, Tempi und Sounds stammen aus Europa, von Techno und Rave. Melodie und Refrain sind die wichtigsten Elemente. Er packt seine Stücke so voll wie eine Waffeltüte auf der Kirmes, sie klingen meist ebenso süß. Das Titelstück des neuen Albums etwa wird durch einen Auszug aus Mike Oldfields "In High Places" zur betörenden Hymne, der man sich gern ergibt. Wer das ganze Album hört, wünscht sich indes, dass West hie und da auf die Tragfähigkeit des Gerüsts aus fettem Bass und ambitionierten Beats vertraut und nicht noch Parfümfläschchen und Lametta aufgehängt hätte.

West verbindet Welten, indem er Milieus verschränkt. Er verkleidet sich nicht wie viele Kollegen als kokainsüchtiger Zuhälter, sondern tritt in der Uniform der Collegeboys auf: Chinos und Ralph-Lauren-Hemd. Die Kultur-Bourgeoisie, die von den Gewaltexzessen des Mainstream-HipHop angeekelt ist, gewinnt er durch Kooperationen mit Künstlern wie Takeshi Murakami und Vanessa Beecroft. Als Teaser fürs neue Album hat er einen 35-minütigen Film auf seine Homepage gestellt, die Neuerfindung des Video-Clips aus dem Mut zum Größenwahn. Man findet es wegen der enormen Länge nicht bei Youtube, nur bei ihm, und natürlich wurde es millionenfach angeklickt; West ist ein Meister der digitalen Mund-Propaganda. Er erzählt da in einer Mischung aus Disney-Märchen und Arthouse-Kino die Geschichte eines Fabelwesens (gespielt von Top-Model Selita Ebanks), das auf die Erde kommt.

West erobert auch die Hörer alternativer Musik. In "Homecoming" singt er mit Bon Iver, einem Songwriter, der sich neben dem in pastellfarbene Pullis gekleideten West ausnimmt wie ein Waldschrat bei der Anti-Atom-Demo. Wall Street und Wendland.

Vielleicht schütteln die Menschen dereinst die Köpfe über den Erfolg dieses Kerls. Aber sie werden dabei mit den Füßen wippen.

(Rheinische Post)
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