Brüssel Kampf zwischen Karneval und Fasten

Brüssel · Von Pieter Bruegel dem Älteren stammt ein Gemälde, das in die "fünfte Jahreszeit" passt: links karnevalistische Ausgelassenheit, rechts Buße und Enthaltsamkeit. Faszinierend sind die zahlreichen Symbolszenen.

An Pieter Bruegels Bildern kann man sich kaum sattsehen. Das liegt an seiner Liebe zum Detail. Überall wimmelt es von Figuren und Gegenständen, und jede Einzelheit ist mit Bedeutung befrachtet. So hat er nicht nur niederländische Sprichwörter lebendig werden lassen, sondern auch Sittengemälde im wörtlichen Sinne geschaffen: Blicke in den flämischen Alltag seiner Zeit, des 16. Jahrhunderts. Der Witz, der in diesen Bildern steckt, erschloss sich den zeitgenössischen Betrachtern noch auf Anhieb, weil sie selbst Teil des Lebens waren, das der Künstler karikierte. Heute muss man sich zurückversetzen, wenn man alles mitbekommen will - so auch bei der Betrachtung eines Gemäldes von Bruegel, das wunderbar ans Ende der "fünften Jahreszeit" passt: "Der Kampf zwischen Karneval und Fasten".

Das um 1559 entstandene Bild aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien, 1,20 mal 1,60 Meter groß, gibt einen dicht bevölkerten Platz wieder, dessen linke Hälfte die Bräuche des Karnevals spiegelt, während die rechte die Fastenzeit festhält. Personifiziert ist der Widerstreit der beiden Welten vor allem durch die Figuren am unteren Rand, die einander mit Fleischspieß und Backschaufel bekämpfen: Prinz Karneval und Frau Fasten.

Der Prinz sitzt auf einem Fass und hält in der Hand einen Bratspieß mit Schweinskopf, Wurst und Geflügel, auf seinem Kopf trägt er eine Pastete. Sein Widerpart, die hagere Frau auf der rechten Seite, führt dagegen auf ihrem Kopf einen Bienenkorb mit sich - Symbol für Mäßigung und Fleiß.

Die Zweiteilung setzt sich vielfach fort: Links ragen zwei Wirtshäuser auf, rechts eine katholische Kirche. Links herrscht allenthalben Ausgelassenheit, rechts erkennt man eine Gruppe von Gläubigen samt Kindern mit Aschekreuzen auf der Stirn. Während in der linken Hälfte Waffeln gebacken werden, muss sich die rechte Seite mit der traditionellen Fastenspeise Fisch begnügen. Von links erklingt Musik, und Völlerei und Betrunkenheit beherrschen das Bild; rechts schauen abgemagerte Menschen traurig drein.

Gedeutet wird das Bild als Streit zwischen Katholiken und abtrünnigen Protestanten. Die Katholiken rechts sind sparsam, aber neidisch auf die anderen, die sich nicht ums Fasten scheren, die trinken, Karten spielen und mit Geld um sich werfen. Diese Protestanten glauben nicht an den Sinn des Fastens. Sie verstehen die Rechtfertigungslehre mit Martin Luther so, dass allein der Glaube den Menschen vor Gott rechtfertige - nicht Buße und Enthaltsamkeit und auch nicht gute Werke.

Bruegel spiegelt in seinem Bild einen zeitgenössischen Streit, der die Katholiken als Asketen erscheinen und damit alt aussehen lässt, während die Protestanten ausgesprochen sinnenfreudig wirken. Sie hatten das Fasten abgeschafft.

Das Bild hat jenseits seiner religiösen Aussage zahllose Interpreten auf den Plan gerufen, die sich auch in abseitige Details vertieften. Der Narr, der ein wenig rechts der Bildmitte am hellichten Tag mit einer Fackel unterwegs ist, könnte eine Anspielung auf die "verkehrte Welt" sein, in der sich die beiden Konfessionen zu Bruegels Zeit befehdeten. Und einer der Narren und Krüppel links davon ist durch eine Mutterkorn-Vergiftung entstellt, das sogenannte Antonius-Feuer. Diese Pilzvergiftung verursachte Alpträume und hysterische Anfälle und ging, so glaubte das Volk, auf Hexen und Dämonen zurück.

Bruegels Gemälde - das zeigt sich allenthalben - weist weit über den Gegensatz zwischen Karneval und Fasten hinaus. Es verbildlicht zwei Pole des menschlichen Lebens, verweist vielleicht sogar auf das Zweistaatenmodell des Augustinus, der zwischen einem Teufels- und einem Gottesstaat unterschied. So stünde der Karneval für Sünde, das Fasten für Buße.

In der linken unteren Ecke des Bildes findet sich auf einem Stein die Signatur des Künstlers: BRVEGEL 1559. Damals hatte er gerade begonnen, auf die Schreibung mit "h" (Brueghel) zu verzichten - aus bis heute unbekanntem Grund.

Nicht ganz klar ist auch, wie das Bild ins Kunsthistorische Museum Wien gelangte. Wahrscheinlich hatte Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römisches Reiches, es für seine Schatzkammer erworben. Deren Kostbarkeiten gelangten zum Teil in Wiens berühmtestes Museum.

(RP)
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