Kalender-Weisheiten Sprüche für ein ganzes Jahr

Viele Menschen haben sich für 2020 einen Kalender mit berühmten Zitaten besorgt. Für die einen sind diese Sprüche geistiges Grundrauschen. Andere werden tatsächlich nachdenklich.

Kalendersprüche für ein ganzes Jahr begleiten unsere guten Vorsätze
Foto: DPA / Andrea Warnecke

Heute Morgen mache ich einmal „Ratsch“, und schon ist Leonard Cohen weg. Der hatte gestern den weisen Satz eines Liedermachers zum Besten gegeben: „Wenn ich wüsste, woher die guten Songs kommen, würde ich dort öfter mal hingehen.“

Heute tritt Novalis auf, der eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg hieß und als literarischer Philosoph der Frühromantik gilt. Er hinterließ mir einen anderen Spruch, gedruckt auf dünnem Papier in der Größe elf mal elf Zentimeter: „Ist die Seele ruhig, so wird auch der Körper bald beruhigt.“

Am Montag macht es wieder „Ratsch“, dann meldet sich der unermüdliche Bonmot-Spender Albert Einstein („Ich denke niemals an die Zukunft. Sie kommt früh genug.“)

Über den Spruch des Novalis kann ich jetzt 48 Stunden nachdenken, wenn ich das will, denn in meinem Abreißkalender gilt ein Spruch immer für das ganze Wochenende. Im vergangenen Jahr habe ich also knapp 300 Sprüche konsumiert, habe gelächelt, mit den Augen gerollt, habe dann und wann ein wenig sinniert – und in einigen Fällen hat mich so ein Kalenderspruch eines berühmten Kopfes ernstlich zum Nachdenken gebracht.

Normalerweise verspürt der Mensch ja wenig Neigung, sich von Weisheiten echter oder angeblicher  Respektabilitäten in seine Befindlichkeit reinreden zu lassen. Andererseits sind solche kalendarischen Sinnsprüche in der Summe möglicherweise doch effektiv – nicht als vorgehaltene Pistole, die einen zur sofortigen Kurskorrektur nötigt, sondern als langsam einträufelnde und nachhaltige Essenz, die sanfte Formen der Veränderung bewirkt. Viele Menschen vertrauen solchen Kalendern, sie haben dann daheim oder im Kollegenkreis ein Gesprächsthema, aus dem sich ebenfalls vielleicht etwas Gutes saugen lässt – oder das zum Spott taugt.

Für das Jahr 2020 möchte ich den Zitate-Overkill ein wenig modifizieren, jetzt kommt – ich werde einen Nagel benötigen – der Wandkalender „Kleine Ruhepausen“ aus dem Harenberg-Verlag zur Geltung. Hierbei handelt es sich um einen Wochenkalender zum Umklappen, welcher mir jedes Zitat eine Woche lang hinhält wie einen Wurstzipfel. Wahrscheinlich wird mir das neuropsychologische Phänomen der Habituierung widerfahren:  Gewöhnung durch wiederholte Darbietung eines Reizes. Vielleicht erlebe ich aber auch Intensivierung.

Dekoriert wird jeder Spruch, weil die „Ruhepause“ offenbar optische Garnitur benötigt, durch ein Bild aus der beruhigten Natur: ein Baum, ein Sonnenuntergang, eine Düne am Meer, ein Gartenhäuschen, eine Schale mit Erdbeeren, eine Hängematte, die Rosette der Kathedrale zu Palma de Mallorca. Alles, bloß kein Alltag.

Ich persönlich freue mich schon auf die zweite Juni-Woche. Dann bekomme ich zu lesen: „Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten.“ Der Satz stammt von dem in Kalkutta geborenen Universalgelehrten Rabindranath Tagore, der 1913 den Literaturnobelpreis bekam. Universalgelehrte sind mir immer verdächtig, aber Tagore ist eine Instanz, der ich auch vorsorglich vertraue. Ich habe mir vorgenommen, mich im Jahr 2020 deutlich mehr in der Natur aufzuhalten – und im Juni, wenn der Spruch dann aufklappt, möchte ich nicken und sagen: Der Mann hat ja so Recht.

Natürlich gibt es solche und solche Naturen. Die einen belächeln solche Zitate, zumal sie sich regelmäßig in Kalendern wiederholen. Die anderen aber schenken ihnen ein Nachdenken. Ich persönlich habe mir vorgenommen, Zitate von Menschen, die klüger sind als ich, vorurteilsfrei erst einmal auf mich wirken zu lassen. Sie könnten zu Assistenten meiner guten Vorsätze werden. Vor allem möchte ich häufiger mal nicht direkt lospoltern.

Zu diesem Behufe habe ich mir aus dem jetzt ablaufenden Jahr einen Spruch des – was Zitate betrifft – wirklich maximal ergiebigen Dalai Lama aufgehoben. Er lautet: „In der Wut verliert der Mensch seine Intelligenz.“

Lieber Leser, Sie haben bis hierhin durchgehalten. Bravo! Ihnen spende ich jetzt für alles Weitere einen passenden Satz aus der Visionenliteratur des weisen Aldous Huxley: „Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.“

Auf denn! Die nächste Zukunft kommt bestimmt und noch früh genug.

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