Düsseldorf Käßmanns Grundkurs zum Glück

Düsseldorf · Auf Einladung einer Bank spricht die frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche über christliche Werte. Käßmanns zornige Unbedingtheit blitzt dabei nur selten auf – stattdessen gibt es in Düsseldorf viel Selbstverständliches.

 Margot Käßmann sprach im Düsseldorfer Industrieclub über "Christliche Werte in unserer Zeit".

Margot Käßmann sprach im Düsseldorfer Industrieclub über "Christliche Werte in unserer Zeit".

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Mit Papphockern ist es hier nicht getan, schließlich ist man unter Bankern. Vor zwei Wochen, beim Evangelischen Kirchentag in Hamburg, da riss Margot Käßmann eine ganze Messehalle von ebenjenen Papphockern, 7000 Menschen. Jetzt steht sie vor marmorverkleideten Wänden und neben Lederfauteuils im Düsseldorfer Industrieclub. In Hamburg hieß die Disziplin Bibelarbeit, in Düsseldorf heißt sie Lunch-Empfang. Dort trank man Wasser aus Plastikflaschen, hier gibt es fränkischen Silvaner. Geladen hat die BW-Bank im Rahmen des Deutschen Stiftungstags, der zurzeit in Düsseldorf stattfindet; Käßmanns Vortrag steht unter dem Motto "Christliche Werte in unserer Zeit".

 Jean-Michel Basquiats Gemälde "Dustheads" wurde für mehr als 48,8 Millionen Dollar versteigert.

Jean-Michel Basquiats Gemälde "Dustheads" wurde für mehr als 48,8 Millionen Dollar versteigert.

Foto: ap

Das Thema ist maximal unkonkret. Dennoch wollen etwa 350 Menschen die Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und jetzige Botschafterin für das Reformationsjubiläum hören. Man ist nicht hingerissen wie in Hamburg, eher freundlich-zurückhaltend, der Gediegenheit des Ortes angemessen. Die sonst übliche Bugwelle aus Applaus bleibt denn auch aus, als Käßmann den Saal betritt.

Beim Kirchentag hatte Käßmann den wuchtigen Satz gesagt, man könne sich "doch nicht auf das geistige Niveau des Kapitalismus zurückschrauben, der ständig Sinn mit Erfolg verwechselt", und selbstverständlich auch dafür jede Menge Applaus geerntet. "Nervensägen" müssten die Christen sein, war ihre Forderung damals. Für Düsseldorf versprach das einige Brisanz.

Doch Käßmann, die große Austeilerin vor dem Herrn, die begnadete Zuspitzerin, hat den Nervensägen-Modus ausgeschaltet. Ausgehend von den zehn Geboten, legt sie in knapp 40 Minuten dar, warum die Bibel aktuell sei. Die Sympathien des Publikums hat sie spätestens, als sie sagt: "Wenn eine Altbischöfin eingeladen wird, zu Werten zu reden, dann muss die Krise biblische Ausmaße angenommen haben."

Europa erlebe eine massive Suche nach Orientierung, sagt Käßmann. Das sei aber noch keine Rückkehr zum Glauben – das Christentum stehe vielmehr "in einer Marktgesellschaft" mit allerlei anderen Angeboten. Angesichts dessen müsse das Christentum "widerständig bleiben": "Jesus Christus ist keine Naturgottheit, die mir auf dem Waldweg begegnet."

Wer auf Zumutungen wartet, kann jetzt eigentlich gehen. Die Lust an der Provokation ist an diesem Tag erkennbar nicht Käßmanns Sache. Der Rest des Vortrags ist ein Grundkurs im Glücklichsein, eine Art Paulo Coelho auf kirchlich – mit wenigen Ausnahmen. "Gerade Indonesien Waffen zu liefern", sagt Käßmann etwa zum Panzer-Geschäft der Bundesregierung, "erschreckt mich auch als Christin, weil Christen zu den verfolgten religiösen Minderheiten in Indonesien gehören." Das ist die Kirchentags-Käßmann, die, statt umständlich abzuwägen, lieber den Gestus der zornigen Mahnerin pflegt ("Nichts ist gut in Afghanistan"). Das hat ihr oft den Vorwurf eingetragen, naiv zu sein.

In Düsseldorf wird deutlich, dass diese Gefahr eher noch wächst, wenn der Zorn wegfällt. Käßmann reiht Selbstverständlichkeit an Selbstverständlichkeit. Zum sechsten Gebot (Ehebruch) sagt sie: "Es ist so wichtig, Beziehungen zu stabilisieren." Zum siebten Gebot: "Stehlen ist kein Kavaliersdelikt." Zum zehnten Gebot: "Eine Neidgesellschaft kann keinen Gemeinsinn entwickeln." Die "Ethik des Genug" darf ebenso wenig fehlen wie die allgegenwärtige Nachhaltigkeit.

Diese Schonhaltung hält Käßmann seltsamerweise auch durch, als es um Wirtschaft und Finanzen geht, also den neuralgischen Punkt dieses Vortrags. Symptomatisch ist ihre Definition, was denn Ökonomie überhaupt sei – Käßmann verweist auf das griechische "oikos", das Haus also, "in dem wir alle zusammen sein müssen". Wirtschaft müsse ein "Segenskreis" sein. Geld sei nicht dasselbe wie Glück. "Was im Leben wichtig ist, ist nicht käuflich." Und: "Wer freigebig ist, lebt glücklicher." Alles wahre Sätze – was aber ist das Christliche in dieser flauschigen Nettigkeitsethik?

Die Kirchentags-Wut blitzt noch einmal auf, als sie Dieter Bohlen wegen seiner Lust am Geldverdienen "armselige Egomanie" vorwirft und Renditeziele von 25 Prozent in einem Atemzug mit Wucherzinsen nennt; freilich wird auch dieser Gedanke nicht zuende gedacht.

Der Schlussapplaus ist freundlich. Begeisterung steuert Bankvorstand Peter M. Haid mit dem Satz bei, Käßmann hätte auch Nietzsche zum Christentum bekehrt. Dessen offenbar unvermeidlicher Satz, wenn die Christen etwas erlöster aussähen, dann lasse er sich vielleicht bekehren, war auch gefallen.

Eine Lektion in "Ethik des Genug" und Nachhaltigkeit gibt es am Ende ganz praktisch, beim Blumengeschenk. Mit dem Transport sei das so eine Sache, sagt Haid, daher falle der Strauß etwas kleiner aus – zugunsten eines Gutscheins für Käßmanns Lieblings-Blumenladen.

(RP)
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