Interview Julian Nida-Rümelin „Die Digitalisierung macht uns nicht zu Gott“

München · Der Philosoph und frühere Kulturstaatsminister warnt vor maßloser Euphorie beim Einsatz digitaler Technologien.

 Julian Nida-Rümelin vor einem Müncher Wirtshaus.

Julian Nida-Rümelin vor einem Müncher Wirtshaus.

Foto: Frank Ossenbrink

Mit der Künstlichen Intelligenz verbinden sich und große Zukunftshoffnungen und einige Unbehagen: Wird sie gefährlich oder ist sie von Nutzen? Ein Gespräch mit dem früheren Kulturstaatsminister und Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin (64) über eine Ethik in Zeiten der Digitalisierung.

Sie leiten seit zwei Jahren den Bereich Kultur am Zentrum für Digitalisierung Bayern (zd.b) und gehören seit Kurzem auch dem Direktorium des Bayerischen Instituts für digitale Transformation (bidt) an. Das klingt irgendwie nach Entwicklungsarbeit.

Nida-Rümelin Na ja, es gibt ja auch das „California Institute of Technology“, das sich nicht nur mit dem Bundesstaat Kalifornien beschäftigt, sondern weltweit wirkt.

Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrer Arbeit bisher gemacht, welchen Vorurteilen sind Sie begegnet?

Nida-Rümeln Man könnte salopp sagen: Deutschland ist spät aufgewacht. Und wir haben Erfindungen hierzulande nicht allzu ernst genommen – wie die MP3-Technologie, die vom Fraunhofer-Institut entwickelt wurde. Deutschland ist ein Land mit der höchsten Ingenieur-wissenschaftlichen Kompetenz überhaupt, es hat eine starke, technisch orientierte, mittelständische Wirtschaft und exzellente Fachkräfte. Von daher bestehen in Deutschland ideale Bedingungen die Digitalisierung in den produktiven Kerne voranzutreiben, anders als das aktuelle Silicon Valley Modell in den USA. Ich bin dafür, dass wir einen eigenständigen europäischen Weg einschlagen; der größte Wirtschaftsraum der Welt ist der europäische. Warum sollten wir also nicht auch ein Big Player der Digitalisierung werden? – neben den Giganten USA und China.

Das hört sich ungetrübt positiv an. Was ist mit der Kontrolle über unsere Daten?

Nida-Rümelin Ein gutes Beispiel ist die Debatte über Huawei, die wir gerade führen, also die Frage unserer Abhängigkeit von technologischen Riesen. Vermutlich wird sich die Auffassung durchsetzen, dass es nicht sein kann, dass die europäische digitale Infrastruktur an einem chinesischen Technologie-Riesen hängt und man nicht wissen kann, was mit den Daten im Konfliktfall werden würde. Das Gleiche gilt übrigens auch für die USA. Kurzum: Es gibt Gründe, dass Europa in diesen Bereichen autonomer wird als es momentan tatsächlich ist.

Haben wir denn noch die Kontrolle über unsere eigenen Daten wie auch über unsere Faszination für alles Digitale?

Nida-Rümelin Das ist in der Tat eine interessante und auch beunruhigende Entwicklung. In Kalifornien hängen inzwischen Zehnjährige im Schnitt sieben Stunden täglich vor einem Bildschirm. Auch deshalb muss man mit digitalen Medien sehr zielgerichtet im Unterricht umgehen.

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass seit geraumer Zeit die meisten Menschen keine oder nur noch wenig Zeit füreinander haben – etwa für spontane Verabredungen?

Nida-Rümelin Das hat damit zu tun, dass die Trennung von Arbeitszeit und Freizeit zunehmend aufgelöst wird. Und es ist vielfach zu beobachten. Digitale Technologien verleiten genau dazu, keine Frage. Doch die Ursachen dafür liegen meines Erachtens tiefer: in einer umfassenden Ökonomisierung unserer Lebenswelten; anders formuliert: Wir stecken in einer Ökonomisierungs- und Selbstoptimierungsfalle. Ich glaube auch nicht, dass die Digitalisierung ursächlich verantwortlich ist für die wachsende Verschärfung zwischen arm und reich. Diese Entwicklung hat nämlich schon mit dem Ende des Ost-West-Konflikts eingesetzt. Das ist also eine Folge der Globalisierung, nicht der Digitalisierung.

Sie setzen auf dem Weg zu einem sogenannten Digitalen Humanismus auf die Mündigkeit des Bürgers. Muss man nicht auch einen Rahmen schaffen, vielleicht sogar eine Art Codex für den Umgang mit digitalen Technologien?

Nida-Rümelin Die Zielrichtung ist eher die Erkenntnis, dass wir auch mit allen digitalen Errungenschaften nicht zu Gott werden. Alle diese Systeme erkennen nichts, sie prognostizieren nichts, sie sind nicht intelligent, sie haben keine Intentionen und keine Absichten – weder gute noch böse. Alle hochentwickelten Technologien bleiben stets nur Hilfsmittel. Das ist eine wichtige Botschaft: Wir schaffen keine neuen personalen Identitäten! Da grassiert eine Art Befreiungstheologie, wonach die Technologien uns die Lösungen für alle Probleme präsentieren. Auch Kriege kann es danach nicht mehr geben, weil mögliche Konflikte vorausgesagt werden könnten. Dahinter verbirgt sich eine uralte technologische Ideologie. Die hat der alte Henry Ford schon geträumt, wonach das Automobil die Welt befrieden wird, weil jeder mit jedem verbunden sein wird. Das kommt uns doch irgendwie vertraut vor, oder? Das alles ist natürlich grober Unfug. Das Automobil hat nicht zum Frieden auf der Welt beigetragen, während digitale Technologien gegenwärtig zur Unterdrückung in einer ganzen Reihe von diktatorischen Staaten sehr effizient eingesetzt werden. Darum Vorsicht mit jeder Ideologisierung!

Unsere Reaktionen auf digitale Technologien scheinen entweder hysterisch oder unbegrenzt arglos zu sein…

Nida-Rümelin …ja, das stimmt. Wobei es in der Hysterie zwei Formen gibt: die der maßlosen Euphorie nach dem Motto: Alles wird jetzt wunderbar; und auf der anderen Seite die Apokalypse, die übrigens eng mit der überzogenen Euphorie zusammenhängt, mit der Sorge, dass die Technologien sich irgendwann gegen uns wenden. Das eine wie das andere beruht auf derselben Fehleinschätzung. Schließlich sind wir es, die Verantwortung für all das tragen. Die Technologien haben keine Eigendynamik, die wir nicht auch gestalten können – natürlich nur, wenn man es will.

Muss es so etwas wie eine digitale Ethik geben, auf die sich viele verständigen können?

Nida-Rümelin Vorsicht. Die Ethik ist nicht der Ersatz des Priesterstandes früherer Zeiten, der mitteilt, was zu tun ist. Die Ethik hat eine viel bescheidenere, man könnte auch sagen: dienende Rolle. Sie soll klären, Kriterien abwägen und zeigen, wo es in der Diskussion Widersprüche gibt. Die Ethik kann nicht einen öffentlichen Diskurs ersetzen.

Können Sie in einem Satz sagen, was Sie unter Digitalem Humanismus verstehen?

Nida-Rümelin Ja, dass die Digitalisierung humanistische Werte und Normen für unser Zeitalter revitalisiert – und dazu gehört vor allem die Idee des Menschen als Autor seines Lebens.

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