Ausstellung zu 75 Jahre NRW Die bewegte Geschichte Nordrhein-Westfalens

Düsseldorf · Pünktlich zum 75-jährigen Bestehen von NRW vermittelt die Ausstellung „Unser Land“ im künftigen Haus der Geschichte in Düsseldorf lebendige Einblicke in die facettenreiche Entwicklung seit 1946.

Düsseldorf: Ausstellung „Unser Land“ im Haus der Geschichte
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Impressionen der Ausstellung „Unser Land“ im Haus der Geschichte in Düsseldorf

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Foto: Bretz, Andreas (abr)

Bilder von kargen Anfängen versetzen dem Mangel längst entwöhnte Betrachter stets erneut in Staunen. So ist es also damals gewesen: Trümmer, entwurzelte Menschen, in einer Zeit, in der oft nicht mal das Notwendigste zum Leben vorhanden war. Die meisten Gewohnheiten: verloren. Und wie fremd klingt 1946 erst der neue Name der einst vertrauten Region: Nordrhein-Westfalen, am 23. August jenes Jahres zusammengeschweißt von den Briten aus dem Nordteil der preußischen Rheinprovinz und dem ebenfalls preußischen Westfalen.

Aber Erfolgsgeschichten leben von diesem Gegensatz zwischen Gestern und Heute, sie sind wie diese, die von der Wiedererlangung von Freiheit, Demokratie und Wohlstand erzählt, bester Lesestoff. Noch anschaulicher werden sie durch Dokumente, Fotos, Filme oder Interviews mit Zeitzeugen. Solche Zeugnisse aus genau einem Dreivierteljahrhundert bewegter Vergangenheit des bevölkerungsreichsten Bundeslandes haben die Kuratoren der Ausstellung „Unser Land - 75 Jahre Nordrhein-Westfalen“ in 16 Monaten zusammengetragen. Ein Kraftakt zum Jubiläum, denn es gab bis dato gar keine historische Sammlung. Die am Donnerstag von Ministerpräsident Armin Laschet und Landtagspräsident André Kuper eröffnete Schau stellt zugleich eine Premiere im künftigen Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalens am Düsseldorfer Rheinufer dar, das im Behrensbau nach dessen Sanierung seine Heimat finden wird.

Das wuchtige Gebäude ist seinerseits ein Haus mit Geschichte: Geplant vom Architekten Peter Behrens und fertiggestellt 1912, war es zunächst Standort der Mannesmann-Verwaltung. Nach dem Ersten Weltkrieg residierte dort die französische Besatzungsbehörde, 1945/46 die britische Militärverwaltung, danach war es Amtssitz der ersten NRW-Landesregierungen, zuletzt Flüchtlingsunterkunft. Seit 2017 stand es leer, bis 2018 der NRW-Landtag grünes Licht für die künftige Bestimmung gab.

75 Jahre Geschichte in die 1200 Quadratmeter große erste Etage zu pressen, ist eine Herausforderung. Die Ausstellungsfläche soll aber nach den Worten des Vorsitzenden des Präsidiums der Stiftung Haus der Geschichte NRW, Professor Hans Walter Hütter, mit dem Ausbau verdoppelt werden. „Zunächst haben wir einige Schwerpunkte gesetzt“, erläutert Projektleiter Peter Henkel: Durch acht Abteilungen mit 140 Vitrinen und 300 Exponaten geht die Zeitreise - von den politischen Anfängen mit der Gründungsurkunde des Landes, über Migration, die Entwicklung des sozialen Lebens, die wirtschaftlichen Umbrüche, Ökologie, innere Sicherheit, Religionen bis hin zu Kultur und Medien. Sogar die Hochwasserkatastrophe von Juli hat noch Eingang in die Ausstellung gefunden: ein Paar schlammverkrustete Stiefel der Feuerwehr Kall ergänzen Fotos vom überschwemmten Bad Münstereifel.

Anfangs aber fällt der Blick auf grobkörnige Schwarz-Weiß- Fotos, auf denen Menschen auf Transparenten fordern: „Wir wollen keine Kalorien, wir wollen Brot!“ In der Nachkriegszeit fehlt es an allem. 15 Jahre später boomt die Wirtschaft derart, dass die Bundesregierung mit der Türkei ein Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte abschließt - das Original von 1961, das den Zuzug von zwölf Millionen Menschen begründet, geschrieben auf einer Olympia-Schreibmaschine, liegt aus. Nachgestellt sind etwa die Räumlichkeiten des Atombunkers im Eifelort Urft. Ja, auch die Landesregierung hielt von 1966 bis 1993 einen solchen Schutzraum vor, in dem bis zu 200 Personen 30 Tage lang untergebracht werden konnten.

Im Schnelldurchgang zieht der historische Wandel des Landes mit seinen einst abertausenden Bergleuten und Stahlkochern zum modernen Universitäts- und Dienstleistungsstandort am Besucher vorbei. „Dreimal Niesen = ein Brikett im Taschentuch“ – der gallige Witz über die damalige „dicke Luft“ findet sich ebenso wie frühe Belege von beginnendem Umweltbewusstsein: Schon in den 50er Jahren hatte der Wissenschaftler Heinrich Stratmann ein gewaltiges Messgerät zur Erfassung des Schwefeldioxyd-Gehalts erfunden, 1963 wird die Landesanstalt für Emissions- und Bodennutzungsschutz gegründet. Heute unvorstellbar: Ein kleines Stück davon zeugt noch von der Mauer in einer Schule in Ringenberg, das jetzt zu Hamminkeln gehört, die zu Beginn der 60er Jahre katholische und evangelische Schüler trennte. Sie ging sogar durch die Toiletten.

Auch Terror, Kriminalität und Katastrophen haben NRW geprägt. Der Besucher wird an die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer 1977 in Köln ebenso erinnert wie an die Ermordung von Treuhandchef Detlev Rohwedder 1991 in Düsseldorf durch die RAF. Zu sehen ist ebenso einer der selbst gebauten Sprengsätze der islamistischen „Kofferbomber von Köln“, die damit im Jahre 2006 Zugreisende töten wollen, wozu es wegen eines Konstruktionsfehlers aber nicht kam. Rechtsextremisten wiederum waren es, die 2004 auf der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe zündeten, zwei Bankräuber, die 1989 mit dem Geiseldrama von Gladbeck die Republik in Atem hielten. Sieben Tote forderte der Flughafenbrand 1996 in Düsseldorf, 21 Menschen kamen beim Loveparade-Unglück 2010 in Duisburg ums Leben – ein Stück Bauzaun aus stabilem Draht lässt ahnen, was damals zur tödlichen Falle beitrug.

Als ein Stück lebendige Geschichte lobte Laschet zur Eröffnung die Schau. Sie trage dazu bei, das Bewusstsein der Menschen für ihr Land und das Verständnis für seine Vielfalt zu vertiefen. Der Ministerpräsident hofft vor allem auf reges Interesse junger Leute. „Es sind Geschichten von Menschen, die es lohnt, weitererzählt zu werden, ergänzte Landtagspräsident André Kuper, der zugleich Vorsitzender des Stiftungskuratoriums ist.

Es ist wahr: Wer die Vergangenheit kennt, kann leichter ermessen, wie sich Zukunft gestalten lässt.

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