Düsseldorf Jonathan Littell berichtet aus Homs

Düsseldorf · Zu Beginn dieses Jahres reiste der französische Bestsellerautor Jonathan Littell (44) illegal und unter einem Decknamen in die vom syrischen Bürgerkrieg gezeichnete Stadt Homs. Seine Notizen von der Reise sind bemerkenswert: Sie dokumentieren das Scheitern eines Aufklärers.

Jonathan Littell mitten in Homs. Ein Bestsellerautor illegal und unter einem Decknamen im syrischen Bürgerkrieg. Gleich an der Front. Unter den Widerstandskämpfern. Fachsimpelnd über Waffen. Und wie er in einer Häuserruine auf einem Schemel sitzt, etwas in den Notizblock kritzelt, während ein Rebell direkt neben ihm durch ein großes Loch in der Wand ein paar Kalaschnikow-Salven feuert.

Welche Art von Literatur dabei wohl herauskommen mag? Noch dazu von einem Autor, der in seinem viel diskutierten Monumentalroman "Die Wohlgesinnten" die Nazi-Schrecken durchgehend aus der Sicht eines rücksichtslosen SS-Offiziers erzählte? Das Überraschende: Die literarischen Früchte, die sein Homs-Aufenthalt vom 16. Januar bis 2. Februar dieses Jahres hervorbrachte, sind so konventionell wie es der Titel ankündigt: "Notizen aus Homs". Es handelt sich um die aus zwei Notizbüchern abgeschriebene Langfassung jener Reportagen, die Littell für "Le Monde" aus Syrien geschrieben hat.

Also ist es bloß eine Dokumentation geworden, ein Buch mit journalistischen Ansprüchen? Genau das will Littell gleich im Vorwort seine Lesern glauben machen. Aber das stimmt nicht. Denn die Texte sind als Reportagen mangelhaft, für eine Dokumentation fehlt es an ausreichenden Informationen und an nötiger Distanz zum Erlebten. Littell glaubt an die Widerstandskämpfer der Freien Syrischen Armee, einige von ihnen nennt er bald sogar Freunde.

Da passt – streng genommen – vieles nicht zusammen. Und darum ist dieses Buch so lesenswert, weil in diesen Notizen wichtige Fragen gestellt werden: Was kann überhaupt Kriegsberichterstattung? Wo sind Grenzen der Aufklärung? Vor allem: Wo liegt die Faszination des Krieges? Noch jüngst hat Littell erklärt, dass ihn das Morden interessiert, das System des Tötens. Zudem ist Homs ja auch nicht die erste Krisenstation von Jonathan Littell: Er war bereits in Tschetschenien und Georgien, in Afghanistan und Bosnien. Diese Faszination tritt immer wieder in unterschiedlicher Form zutage. Man glaubt fast, Lagerfeuer knistern zu hören bei Sätzen wie: "Es ist seltsam, nach so vielen Jahren mal wieder in einer Bude voller junger Kämpfer und Kalaschnikows zu schlafen." Ein anderes Mal drohen die Notizen zum Waffenkatalog zu werden, wenn man erfahren darf, dass eine Rakete 650 Dollar, eine Kalaschnikow 1800 Dollar, ein 60-mm-Mörser 4500, ein 80-mm-Mörser 7500 Dollar kosten.

Sicher, echte Kriegsromantik sieht noch anders aus, doch das Feuer der Faszination fackelt erkennbar im Erzähler, wie auch die Neigung, dem Kampf für eine vermeintlich gerechte Sache eine ästhetische Seite anzudichten. Und weil er größere Gefechte nicht erlebt – die dramatischen Waffengänge beginnen in Homs erst kurz nach seiner Abfahrt, sucht er die Nähe zur Gewalt. Als irgendwo in einer Nebenstraße Granaten explodieren und Schüsse fallen, rennt der 44-Jährige genau in diese Richtung.

Die unsinnige Faktensammlung etwa bei den Waffenpreisen täuscht einen Durchblick vor, den Littell in den paar Tagen und seiner besonderen Situation nie gewinnen konnte. Aus Sicherheitsgründen wird er nämlich stets geführt und irgendwohin kutschiert. Ihm wird gezeigt, was er sehen soll – nicht aber, was er sehen will. Und die Zeugenaussagen sind praktisch wertlos: Eine Geschichte nennt er ein "bisschen verworren"; und eine andere "vollkommen zusammenhanglos". Bedenklich auch seine Naivität. Auf dem Handy eines Kämpfers sieht Littell das Foto von Osama bin Laden. Und als der Autor wissen will, wo er denn hier gelandet sei, erwidert die Gruppe lachend: "Wir mögen ihn halt gerne." Und dabei bleibt es dann.

Dieses Buch aber wird lesenswert als eine Dokumentation des Scheiterns. Es ist die Niederlage des Aufklärers, der in besten Absichten aus Europa kommt und dann erkennen muss, wie unerwünscht er in Wahrheit ist. Journalisten sind eine Gefahr für die Kämpfer, wird ihnen vorgehalten. Das ist eine merkwürdige Konfrontation, wenn Idealismus auf Wirklichkeit trifft und Weltveränderung sich von Ideen und Worten unabhängig macht.

Littell wird so auch nicht zum Analytiker. Er ist in Homs vor allem ein Sammler von vielen Einzelschicksalen – alles Mosaiksteine eines Krieges, die selbst in großer Zahl noch kein klares Bild ergeben wollen. Das, was Littell uns zu lesen gibt, bleibt so unscharf und so verwackelt wie all die Handyfilme im Internet, die Greueltaten und Kriegsverbrechen in Syrien belegen sollen.

Man wird nach diesem Buch bescheiden darin zu behaupten, was überhaupt Wahrheit ist oder was sie sein könnte. Littells "Notizen aus Homs" sind eine Warnung für uns, für die schnellen Bescheidwisser, die mitunter die Wirklichkeit ihren Worten angleichen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort