Literarischer Sommer “Nichts ist vorbei, alles kommt zurück“

Düsseldorf · Die niederländische Autorin Jessica Durlacher stellte beim 23. Literarischen Sommer ihr Buch „Die Stimme“ vor. Weitere Lesungen und literarische Spaziergänge in Düsseldorf sollen folgen.

 Die niederländische Autorin Jessica Durlacher las aus ihrem Roman „Die Stimme“.

Die niederländische Autorin Jessica Durlacher las aus ihrem Roman „Die Stimme“.

Foto: Stadtbüchereien Düsseldorf

Mit einer Auftaktlesung von Jessica Durlacher in der Stadtbibliothek Düsseldorf hat der 23. Literarische Sommer begonnen. Bis Anfang September werden bei diesem kulturellen Zusammenschluss der Niederlande und Nordrhein-Westfalens beiderseits der Grenzen 50 Veranstaltungen in 21 Städten mit 27 deutschen, niederländischen und flämischen Autorinnen und Autoren stattfinden. Auch in Düsseldorf wird es weitere Lesungen und literarische Spaziergänge geben.

Bevor Jessica Durlacher mit ihrem Buch „Die Stimme“ zu Wort kam, erklang Leonard Cohnens „Halleluja“. Ein Lied, das später noch eine Bedeutung haben werde, sagte Maren Jungclaus vom Literaturbüro Düsseldorf, die den Abend moderierte. Nach Jahren des Pendelns zwischen Kalifornien und ihrer niederländischen Heimat wurde die Autorin, Literaturkritikerin und Übersetzerin der Graphic Novel „Maus“ von Art Spiegelman in Bloemendaal bei Amsterdam sesshaft. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Leon de Winter, schrieb sie die Vorlage zu einem Theaterstück über Anne Frank.

Ihre jüdischen Wurzeln und ihre Prägung als Tochter eines Holocaust-Überlebenden sind in den Büchern von Jessica Durlacher spürbar. „Ich bin aber keine politische Autorin“, wehrt sie ab. „Ich schreibe über Menschen, die sich in ihrer Welt arrangieren müssen. Natürlich spielt die Politik herein. In erster Linie aber geht es um Familien, die im Schatten eines Krieges zu leben haben.“

Ihr Roman setzt in New York ein, am 11. September 2011. „Wir wissen alle, wo wir waren, als es geschah“, sagt sie. „Die Anschläge stehen hier symbolisch für einen gewaltigen Umbruch in der Gesellschaft.“ Jessica Durlacher spricht lebhaft, obwohl sie mit ihrem Deutsch hadert. Sie zückt ein winziges Wörterbuch: „Ich muss oft etwas suchen.“ Gut, dass das Buch geschrieben und übersetzt sei, merkt sie an und geht ans Lesepult.

Wir hören, wie das Paar Zelda und Bor mit seinen Kindern nach New York reist und spontan heiraten will. Eilends wird ein Rabbi gesucht. Während er auf seiner Dachterrasse die Trauung vornimmt, „die brodelnde, brummende Stadt zu Füßen“, krachen die Flugzeuge in die Twin Towers, wo die Familie noch am Vorabend speiste. Ein gewaltiges Donnern übertönt die Zeremonie, heulende Sirenen, beißender Rauch. Ungläubig schaudernd schießt es Zelda durch den Kopf: „Wie glücklich wir doch waren. Jetzt ist alles möglich, was vorher undenkbar war.“ Jessica Durlacher hat die Attentate ähnlich empfunden. „9/11 veränderte mein Bewusstsein. Wir fühlten uns ein paar Jahre sicher, die Mauer war gefallen, es herrschte Frieden. Plötzlich wusste ich, nichts ist vorbei, alles kommt zurück.“

Vier Jahre danach setzt sich der Roman in den Niederlanden fort. Zelda hat ein muslimisches Kindermädchen aus Somalia aufgenommen, gesegnet mit einer grandiosen Stimme. Die schüchterne Amal bewirbt sich bei einer TV-Show, nutzt den Auftritt mit dem Song „Halleluja“ zu einem Befreiungsschlag, wirft das lange Gewand und das rosaseidene Kopftuch ab. Darauf gerät nicht nur sie in Gefahr, die Folgen des muslimischen Zorns bedrohen die ganze Familie. Dreieinhalb Jahre habe sie an ihrem Buch geschrieben, erzählt Jessica Durlacher. „Jeden Tag 500 Wörter, das geht langsam bei mir. Währenddessen wachsen die Figuren, ein organischer, vorher nicht durchdachter Prozess. Dann schaue ich nach hinten und sehe, wer sie sind.“

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