"Fräulein Julie" Klassenkampf auf dem Küchenboden

Jessica Chastain brilliert in der Titelrolle des Films "Fräulein Julie". Liv Ullmann inszenierte nach dem Drama von August Strindberg.

Fräulein Julie langweilt sich zu Tode. Die Mittsommernacht bricht an, eine unheilvolle Spannung liegt über der Dämmerung. Der Graf ist verreist und hat seine Tochter mit dem Kammerdiener John und der Köchin Kathleen auf dem Gut allein gelassen. Ruhelos wandelt Julie durch das leere Haus und betritt die Gesindeküche, wo Kathleen ihrem Verlobten John gerade das Abendessen serviert. Julie will mit dem Paar spielen wie eine Katze mit der Maus. Und ein wenig auch die Regeln brechen, aus denen ihre zerbrechliche Welt gemacht ist.

August Strindbergs 1888 geschriebenes Theaterstück "Fröken Julie", ein reduziertes Kammerspiel mit nur drei Darstellern, galt seinerzeit als so klassenaufrührerisch, dass es für viele Jahre von der schwedischen Zensur verboten wurde. Mag sein, dass die 76-jährige Schauspiellegende und Regisseurin Liv Ullmann eine besondere Affinität zu schwedischen Dramen hat. Immerhin ist sie auch Ex-Muse und Geliebte Ingmar Bergmans, eines weiteren Schweden mit einem Händchen für Kammerspiele. Ullmans konservatives Standesdrama "Fräulein Julie" bleibt hinter der Sonderklasse ihres Mentors zurück, hält über knapp zwei Stunden aber elegant die Spannung.

Strindbergs 1894 spielende Handlung verlegt Ullmann von Schweden nach Irland - vielleicht, um dem Akzent ihres irischen Hauptdarstellers Colin Farrell Tribut zu zollen. Mit ihm, Jessica Chastain und Samantha Morton bringt Ullmann drei Schauspieler zusammen, die nicht unterschiedlicher arbeiten könnten. Chastains Julie ist eine schillernde, boshafte Schönheit mit Manieren, aber ohne Moral. Neben ihr wirken Farrells Kneipencharme, seine ausladenden Gesten klobiger als sonst. Samantha Morton hat wenige Szenen, bringt aber in jede davon eine Ruhe, die dem Film gut tut. Kathleens schlichte Würde bietet dem Zuschauer etwas Halt in einer Nacht, die ansonsten Wahn, Obsession und Grausamkeit freien Lauf lässt.

Das Setdesign reduziert Ullmann auf das Nötigste. Es gibt nur eine Handvoll Schauplätze - die geräumige, mit polierten Töpfen behängte Küche, zwei Dienstbotenzimmer und am Schluss ein idyllisches Flussufer im Wald. Die Kamera bewegt sich wenig, die Figuren noch weniger, die Welt um Julie ist erstarrt in Regeln und Verboten. Befreien will sie sich daraus, und John soll es möglich machen. Julie flirtet mit ihm, schickt die machtlose Kathleen hinaus. Und als alle Floskeln gesprochen sind, wird offen gedemütigt. "Küssen Sie jetzt meinen Schuh", befiehlt Julie und rafft ihr blaues Satinkleid hoch. John, der keineswegs so devot denkt, wie er dreinschaut, wird es tun und danach alle Machtverhältnisse umdrehen: die zwischen Herrin und Lakai, reich und arm, Frau und Mann. Schon wenig später fallen Sätze wie "Diener bleibt Diener und Hure bleibt Hure!", entschieden wird der Kampf in Johns schmalem Bett. Während Kathleen in ihrer Kammer demütig wartet, entgleist Julies kleines Spiel in tödlichen Ernst.

Zu Anfang fehlt es Ullmanns Inszenierung an Fluss, wenn die altmodischen Dialoge zwischen Chastain und Farrell zu gestelztem Standkino gefrieren, aber das bleibt nicht so. Je näher das Ende rückt, desto enger gräbt Ullmann sich an den subversiven Kern von Strindbergs Stück: Julies Stand macht keine Klasse, Johns Ehrgeiz aber auch nicht. Und sind Satin und Schmuck erst mal abgelegt, sind alle Menschen gleich. Dabei fasziniert es, Chastain zuzusehen, wie sie ihre Seele entblößt, ihre Figur an der eigenen Leidenschaft zerbrechen lässt. Mit jeder Szene nimmt der Irrsinn in Julies Augen zu, verlieren Frisur und Kleid den Halt. Und als das Fräulein im Morgengrauen geschändet und zerstört auf dem Küchenboden kniet, Johns Taschenmesser in der Hand, betritt Kathleen adrett gekleidet die Küche. Sie ist auf dem Weg in die Messe. Aber erst muss sie noch über ihre gefallene Herrin zu Gericht sitzen.

(RP)
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