Düsseldorf Jesper Juuls Aufruf zu Mitgefühl

Düsseldorf · Vielleicht war in jüngster Zeit zu viel von äußerem Wachstum die Rede, vom notwendigen Erstarken der Wirtschaft, vom Anhäufen materieller Güter für den Fall, dass die Krise sich weiter verschärft. Vielleicht ist darüber das innere Wachstum aus dem Blick geraten, wurde verdrängt, wie wichtig es ist, dass junge Menschen zu Persönlichkeiten heranwachsen, die so stark sind, dass sie sich Mitgefühl leisten können, Rücksichtnahme, Empathie.

Jedenfalls ist dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul in seiner Arbeit aufgefallen, dass es immer schwerer wird, in Kindergartengruppen oder Schulklassen eine Atmosphäre der Freundlichkeit, des Respekts, der Nähe aufzubauen. Viele Kinder seien einfach "außer sich", forderten Aufmerksamkeit im Außen, hätten aber keinen Kontakt zu dem, was in ihrem Inneren vor sich gehe. Weil das destruktive Folgen hat für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, hat Juul mit anderen Pädagogen und dem dänischen Schriftsteller Peter Høeg ein Buch geschrieben: "Miteinander", ein kurzes Manifest für mehr Empathie. "Aus einem Gedanken wird eine Handlung, aus Handlungen ergeben sich Gewohnheiten, aus Gewohnheiten entwickeln sich Persönlichkeiten, und mit den Jahren verwandeln sich Charaktereigenschaften in das, was man Schicksal nennt. Diese Entwicklung startet in unserem Inneren", schreiben sie darin. Wenn der Einzelne also verlernt, echten Kontakt zu seinem Gegenüber aufzubauen, weil er nicht mal gelernt hat, die eigenen Empfindungen wahrzunehmen, dann schwindet in einer Gemeinschaft wahrer Zusammenhalt. Dann zerbröselt ein Gemeinschaftsempfinden, das nichts zu tun hat mit Stärke in der Gruppe, mit nationalem Wir-Gefühl, sondern mit Aufmerksamkeit für den Nächsten. "Obwohl wir alle die Anlage zum Einfühlungsvermögen haben, zeigt die Erfahrung, dass das Einfühlungsvermögen nicht wie Haare, Bart und Nägel von alleine wächst", schreiben die Autoren und rufen nicht nur dazu auf, Kindern Empathie vorzuleben. Sie stellen auch praktische Übungen vor, durch die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern entspannen und ihre Körperwahrnehmung vertiefen können. Aus diesem inneren Wachstum könne Beziehungskompetenz erwachsen, die Fähigkeit also, andere Menschen zu sehen und ihnen freundlich zu begegnen. Könnte sein, dass es an der Zeit ist, sich in Empathie zu üben.

(RP)
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