Interview mit Ruhrbischof Overbeck „Gebete werden eine größere Rolle spielen“

Essen · Es sei zynisch, im Coronavirus eine Strafe Gottes zu sehen, sagt der Ruhrbischof. Für den 55-Jährigen ist Gottes Liebe bedingungslos.

 Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck.

Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Auch die katholische Kirche bleibt nicht unberührt von den Maßnahmen, mit denen man dem Coronavirus den Kampf ansagt. Welche Folge wird das für die Glaubenspraxis haben? Und was heißt das fürs Gemeindeleben, das zum Erliegen kommt?

Haben Sie Vergleichbares wie jetzt die Bedrohung durch das Coronavirus schon einmal erlebt?

Overbeck Die jetzige Bedrohung ist unvergleichbar. Ich erinnere mich noch gut an all die Sprachlosigkeiten und Fragen, die sich Ende der 1980er Jahre mit den Umwälzungen im sogenannten Ostblock stellten. Das hat uns damals schon den Atem verschlagen, was aber nach ein paar Tagen wieder vorbei war. Die augenblickliche Bedrohungslage durch das Coronavirus ist einzigartig.

Verspüren Sie selbst Angst vor dieser offenkundig noch diffusen, dadurch unheimlicheren Bedrohung?

Overbeck Meine Gedanken konzentrieren sich eher auf die Endlichkeit menschlichen Lebens angesichts der Bedrohung. Außerdem zeigt sich darin die Verwundbarkeit der Globalisierung, die ja für viele ein hohes Verheißungspotenzial in sich trug und für manche noch in sich trägt. Und für mich? Ich bin und bleibe ein Mann des Gottvertrauens und kann darum auch von der Hoffnung nicht lassen, dass Gott uns segnet und uns Geleit gibt.

Wahrscheinlich gibt es nichts Globalisierenderes als den Glauben. Nun werden Gottesdienste abgesagt, Kirchen geschlossen. Wie kann Glaube jetzt noch angemessen vermittelt, vor allem gelebt werden?

Overbeck Eine Dimension unseres Glaubens ist die Innerlichkeit, die den Einzelnen in seiner Beziehung zu Gott meint. Dazu gehört sein Vertrauen in die Kraft des Gebets. Dazu gehört natürlich auch das Soziale, das sich nicht nur im Gottesdienst, sondern gerade jetzt auch in unserer Aufmerksamkeit auf Menschen in Not zeigt. Ich würde sagen, dass uns momentan eine Verschiebung der gewohnten Aufmerksamkeiten beschäftigt.

Wird durch die Krise und Bedrohung vielleicht auch die Solidarität wieder stärker?

Overbeck Das kann sein. Dazu gehört aber auch die vielleicht nicht ganz so öffentliche, doch ebenso den Glauben tragende Dimension der Stille. Glaubensgespräche und gemeinsame Gebete daheim werden dadurch wieder eine viel größere Rolle spielen als bisher. Wir müssen das Soziale auf neue Weise stärken und das Kontemplative erneut entdecken.

Das hört sich nach Kloster an.

Overbeck Als ich mich letztens in Berlin von einer größeren Gruppe von Menschen verabschiedet habe, habe ich gesagt, dass wir jetzt alle ein wenig mönchischer und klösterlicher werden müssen. Ich habe allen gute Erfahrungen dabei gewünscht, denn schließlich sei das eine große Herausforderung.

Wie waren die Reaktionen?

Overbeck Die haben natürlich alle gelacht. Einige zeigten auch ein nachdenkliches Gesicht.

Welche anderen Formen gibt es denn, demnächst Menschen mit der frohen Botschaft zu erreichen?

Overbeck Ich habe jetzt am Wochenende eine Videobotschaft veröffentlicht; und wir werden dafür Sorge tragen, dass wir künftig noch stärker über digitale Wege die Menschen erreichen und so mit ihnen in Verbindung stehen. Wenn sich die Krise bis Ostern erstrecken sollte, werden wir überlegen, wie wir digital eine Gebetsgemeinschaft angesichts dieses größten Festes der Christen bilden können.

Werden sich dadurch vielleicht auch neue Formen der Glaubensvermittlung bilden, die sich nach der Krise etablieren werden?

Overbeck Eine vorsichtige Antwort darauf könnte ich frühestens nächstes Jahr geben, wenn wir die Erfahrung gemacht haben, was sich bewährt hat. Ich will aber nichts ausschließen, zumal Gott ja in allem wirkt.

Im Mittelpunkt des katholischen Gottesdienstes steht die Eucharistie. Die ist mit Videobotschaften und Livestreams nicht zu ersetzen.

Overbeck Das stimmt. Ich selbst feiere die Eucharistie allein, was ich sonst nie tue, und feiere stellvertretend für die Vielen. Das ist jetzt so. Aber es gibt ja auch die Möglichkeit der Anbetung in Kirchen und Kapellen. Außerdem gibt es eine Wahrnehmung der Gegenwart im Vermissen: Das ist dann so wie bei Menschen, die man sehr gerne hat, und die auch dann gegenwärtig bleiben, wenn sie gerade nicht da sind. So hoffe ich, dass das auch bei der Eucharistie der Fall sein wird.

Was sagen Sie Menschen, die im Coronavirus jetzt eine Strafe Gottes sehen?

Overbeck Ich halte das für zynisch. Darin zeigt sich nämlich ein gefährlich-magisches Gottesverständnis. Ich lebe vielmehr mit dem Bild eines Gottes, der mich trägt und mich schützt. Dieses Gottesbild ist eine Überwindung jener alten Logiken, wonach ich aus meinem Tun bestimmen muss, wie Gott mit mir umgeht. Das ist nicht so. Gottes Liebe ist bedingungslos.

Wo ist Gott jetzt in diesen Tagen?

Overbeck Gott ist in unserem Leben, das von Freiheit und der Suche nach Partizipation geprägt ist, überall präsent. Aber er bindet sich eben an die Freiheit des Menschen. Es hängt oft sehr von mir und meiner Gläubigkeit ab, Gott zu entdecken. Auch darum kann ich alle nur dazu ermutigen, Gott in der eigenen Endlichkeit zu entdecken als den, der verheißungsvoll das Unendliche zeigt. Darum entdecken wir ihn in der Liebe zu anderen Menschen. Aber: Gott zeigt sich nicht immer so, wie und wann wir es gerne hätten. Ich bin nun so lange Priester. Da habe ich schon des Öfteren gedacht, dass Gott sich bei dem einen oder anderen Menschen ruhig ein bisschen schneller und klarer zeigen könnte (lacht). Aber er tut‘s in der Regel einfach nicht.

Wird nach der Krise die Kirche nicht mehr so sein, wie sie es vor der Krise gewesen ist?

Overbeck Ich glaube eher, dass die Grenze zu einem Gott sichtbarer wird, der schwer zu verstehen ist. Die andere Seite unserer scheinbar grenzenlosen Freiheit ist die Abhängigkeit, wie wir sie jetzt erleben. Die lässt sich nicht mit einem einfachen Gottesbild erklären, sondern bestärkt die Unbegreiflichkeit Gottes. Und diese gehört zu unserem Glauben, oft mehr als viele denken.

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