Interview mit Bodo Mrozek  Jugendbewegung mit erwachsenen Zielen

Der Fachmann für Jugendkulturen erklärt, inwiefern sich Fridays for Future von anderen Jugendbewegungen unterscheidet.

 Greta Thunberg (M.) nimmt im März an der Abschlusskundgebung der Fridays for Future- Demonstration am Brandenburger Tor teil.

Greta Thunberg (M.) nimmt im März an der Abschlusskundgebung der Fridays for Future- Demonstration am Brandenburger Tor teil.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Jeden Freitag gehen weltweit hunderttausende Jugendliche auf die Straße. Sie demonstrieren, weil sie um ihre Zukunft fürchten. Initiiert wurde die Klimabewegung Fridays for Future von der 16 Jahre alten Schwedin Greta Thunberg – laut „Time“ Magazine eine der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Wir sprachen mit Bodo Mrozek über das Phänomen. Der 50-Jährige ist Fachmann für Jugendkulturen: Seine hervorragende Studie „Jugend Pop Kultur“ erzählt die „transnationale Geschichte der Popkultur“.

Sehen wir einer neuen Jugendbewegung beim Entstehen zu?

Bodo Mrozek Ja und nein. Fridays for Future wird angeführt von einem fast schon kindlichen Star.

Aber?

Mrozek Diese Bewegung verfolgt sehr erwachsene Ziele. Sie spricht sich aus für die Einhaltung der Klimaziele, die erwachsene Politiker einmal festgelegt, selber aber nicht einhalten haben. Das heißt, dass diese Jugend nicht mehr primär altersgerechte Eigeninteressen artikuliert. Und das ist ein großer Unterschied zu den zeithistorischen Jugendbewegungen die oftmals Eigeninteressen über das Medium der Popkultur artikuliert haben.

Worum ging es in der Popkultur?

Mrozek Um jugendeigene Räume, aber auch um die gesamtgesellschaftliche Sicht- und Hörbarkeit einer altersspezifischen Kultur. Und damit um gesellschaftliche Teilhabe.

Fridays For Future ist eine neue Art von Jugendkultur?

Mrozek Eine ganz andere Art. Sie ist insofern nicht neu, weil politische Ziele ja auch früher schon artikuliert wurden. Aber die Vernetzung ist heute viel größer; viele Jugendliche verbinden sich zeitgleich in vielen unterschiedlichen Staaten übernational und finden gemeinsam zu einer Stimme – das ist in dieser Dimension neu. Sie haben Zukunftspolitik als ihr Feld erkannt. Sie sagen, da wird etwas versaut von Leuten, die die Folgen ihres Tuns im Gegensatz zu uns gar nicht mehr erleben werden.

Die Sozialen Medien funktionieren dabei als Katalysator.

Mrozek Ja. Früher musste man etwa über Fanclubs Druck auf die stark von Eliten kontrollierten Medien wie den Rundfunk ausüben, damit etwa die jeweils verehrte Band oder das als wichtig empfundene Thema gesendet oder gedruckt wurde. Heute kann man selber ohne den Umweg über professionelle Meinungsverwalter große Massen erreichen.

Entsteht dadurch eine kraftvollere Bewegung?

Mrozek Vermutlich schon. Die Bedingungen, sich zu vernetzten, waren noch nie so gut wie heute. Gleichwohl hat das auch seine Schattenseiten. Politisches Engagement kann in Sozialen Medien auch gefaked oder gefiltert und damit missbraucht werden.

Braucht eine Jugendkultur ein Gesicht wie nun Greta Thunberg?

Mrozek Es scheint in erster Linie für die traditionellen Medien wichtig zu sein. Die brauchen einen neuen Star, einen Popstar, über den sie diese Bewegung personalisieren. Da scheinen aufmerksamkeitsökonomische Mechanismen der Popkultur zu greifen, die mit ihrem Starkult auch die Medien geprägt hat.

Fridays For Future wird oft vorgeworfen, ihre Forderungen seien unrealistisch.

Mrozek Zum einen gehört es zum Wesen von Protestbewegungen, Forderungen utopischer Natur zu stellen und dabei übers Ziel hinauszuschießen. Die 68er haben in Teilen die Einführung einer maoistischen Diktatur gefordert. Dazu ist es nicht gekommen. Dafür kam es zu anderen Reformen im Schatten der plakativen Forderungen. Und die wurden später gelobt: Frauenemanzipation, Bürgerinitiativen, Bildungsreformen. Zum anderen kommt mir die aktuelle Bewegung gar nicht so unrealistisch vor. Sie will ja zunächst einmal nur, dass die Staaten jene Klimaziele einhalten, die sie selber festgelegt haben. Das heißt, das alles haben Politiker mal für realistisch befunden.

Fridays for Future hat keinen Soundtrack. Jugendbewegungen waren bisher stets mit Musik verbunden, mit einem Zeichensystem aus Kleidung und Frisuren.

Mrozek Wir sehen Popkultur heute auf dem Rückzug. Auf den Demos läuft vielleicht mal eine Band mit, manchmal wird getrommelt. Aber Popmusik und Popkultur spielen nicht mehr die dominante Rolle. Vielleicht auch, weil man ja über die Sozialen Netzwerke die Möglichkeit hat, sich zu artikulieren. Man muss nicht mehr einen Umweg gehen, wo Pop dann symbolisch für etwas Anderes steht. Gleichwohl werden gesellschaftliche Werte noch immer über popkulturelle Inhalte etwa in TV-Serien oder Musikvideos vermittelt, was auch immer mal wieder zu Skandalen führt.

Popkultur hat an Bedeutung eingebüßt?

Mrozek Mein Eindruck ist, dass sich Popkultur heute einfach nicht mehr so stark auch als Protestmedium eignet.

Warum?

Mrozek Weil anders als noch vor 30, 40 Jahren mittlerweile alle Alterskohorten mit Popmusik aufgewachsen sind, auch wenn sie die gar nicht befürwortet haben. Sie ist Teil unserer Sozialisation. Auch stehen uns heute Begriffe wie Jugendkultur zur Verfügung. Das war in den 50er und 60er Jahren noch gar nicht der Fall. Da hat man die „Halbstarken“ mit ihren Kofferradios als Kriminelle bezeichnet.

Könnnen Sie ein Beispiel nennen?

Mrozek In meinem Buch gibt es ein Kapitel über die „Kölner Knüppelorgie“ von 1957, da mussten Jugendliche durch ein Spalier von Polizisten spießrutenlaufen, einfach nur, weil sie in großer Menge auf öffentlichen Plätzen herumstanden. Es ist auch ein Ergebnis der Erforschung von Jugendkulturen, dass wir abweichendes Verhalten im öffentlichen Raum heute als Kultur begreifen. Aber damit verliert es auch sein Protestpotenzial. Einfach nur Herumstehen, lange Haare oder zerrissene Klamotten erregen keinen Widerspruch mehr. Wir sind auch vergleichsweise tolerant gegenüber dissonanten Sounds geworden, weil wir akzeptieren, dass unterschiedliche Gruppen verschiedene Geschmäcker haben.

Sind also alle Codes, mittels derer man sich einst mühselig abzuheben versuchte, hinfällig?

Mrozek Codes sind sehr fluide und wurden so stark ironisch hin- und herzitiert, so dass sie keine Verbindlichkeit mehr haben. Fridays für Future geht weitgehend unideologisch und heterogen vonstatten. Der zugehörige spezifische Lebensstil, der durch codierte Zeichen plakativ geäußert wird, ist nicht mehr so wichtig, solange er nachhaltig ist.

Was war die letzte Jugendbewegung alten Zuschnitts?

Mrozek Das ist wahrscheinlich HipHop. Ich tue mich als Historiker aber etwas schwer, die erste oder die letzte Jugendbewegung zu bestimmen. Auf diesem Feld kann es sehr schnell zu Neuentstehungen kommen.

Wird Fridays For Future dereinst unsere Zeit charakterisieren?

Mrozek Alles ist zurzeit sehr heterogen. Jugendkulturen haben nie für die gesamte Alterskohorte gesprochen, auch wenn populäre Dokus das oft so darstellen. Die 68er sprachen ja nicht für eine komplette Generation, sondern waren vor allem ein Protest akademischer Eliten. Wissenschaftler sprechen deshalb eher von der Fremd- oder Selbstgenerationalisierung bestimmter Gruppen, die oft erst im Nachhinein stattfindet.

Gleich bleibt ihnen indes, dass Erwachsene Probleme mit ihnen haben, oder?

Mrozek Streng genommen sind viele Themen, die die Jungen heute auf die Straße bringen, auch unter Erwachsenen repräsentiert. Es gibt aber eine messbare Hinwendung junger Menschen zu ökologischer Politik, während rechte Positionen etwa der AfD vor allem von alten Menschen vertreten werden. Der Riss geht aber nicht nur durch die Generationen. Es sieht eher aus, als würden sich altersübergreifend traditionelle politische Polarisierungen zwischen rechts und links wieder verschärfen.

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