Interview Jean-Michel Jarre „Ich dachte, Autobahn ist ein Lied der Beach Boys“

Düsseldorf · Der Elektronik-Musiker spricht über politisches Engagement, Filmmusik und sein neues Album „Equinoxe Infinity“.

Der Elektro-Pop-Pionier Jean-Michel Jarre sitzt lässig auf einem Sofa im Düsseldorfer Hyatt Hotel. Bis auf einige goldene Punkte auf seinem Hemd ist er ganz in schwarz gekleidet. Im August ist Jarre 70 Jahre alt geworden, mit seinem vollen Haar und faltenfreier Haut sieht er jedoch deutlich jünger aus. Soeben erschien das 19. Studioalbum des Franzosen, der 1976 mit „Oxygène“ einen Meilenstein der elektronischen Musik vorlegte.

Ihr neues Album „Equinoxe Infinity“ klingt sehr nach dem klassischen Jarre. Welche Idee steckt hinter „Equinoxe Infinity“?

Jean-Michel Jarre Mein neues Album ist nah an dem, wie ich in den 70er Jahren gearbeitet habe. Allerdings habe ich auch einen neuen Weg gewählt, denn ich habe mich vom Cover meines Albums „Equinoxe“ von 1978 inspirieren lassen. Die Figuren, die einen dort betrachten, sind 40 Jahre älter geworden. Im digitalen Zeitalter werden wir immer und überall beobachtet. Daher gibt es neben positiven Songs auch einige dunklere Lieder. Denn wir wissen nicht, wie die Zukunft aussehen wird.

Sie sind ein politisch engagierter Mensch. Was bedeutet ein geeintes Europa für Sie?

Jarre Ich bin zutiefst überzeugt von der europäischen Idee und der Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen. Meine Mutter, eine wichtige Figur in der Résistance, hat mir früh beigebracht, dass es einen großen Unterschied zwischen Ideologien und den Menschen gibt. Ich war schon als Kind in Berlin. Was Europa so stark macht, ist natürlich unsere Kultur. Auch wenn wir politische Meinungsverschiedenheiten haben, können wir uns auf unsere gemeinsame Kultur verlassen.

Sie haben im vergangenen Jahren vor dem EU-Parlament gesprochen und sich dort für ein neues, digitales Urheberrecht stark gemacht.

Jarre Ich bin stolz, dass ich als einziger Künstler von Jean-Claude Junker eingeladen wurde, einige Tage vor der Abstimmung vor dem EU-Parlament zu sprechen. Es gibt einen riesigen digitalen Kuchen, daher ist es nur fair, dass Künstler davon ihren gerechten Anteil bekommen und dass unser geistiges Eigentum geschützt wird.

Sie haben in den 60er Jahren bei Karlheinz Stockhausen studiert. Was haben sie von ihm gelernt?

Jarre Ich bin von Stockhausen und seiner Musik immer noch beeindruckt. „Gesang der Jünglinge“ ist eines der Musikstücke, das mich am stärksten geprägt hat. Die jüngeren Generationen müssen verstehen, dass elektronische Musik nicht aus den USA kommt, sondern in Europa entstanden ist. Sie ist tief verwurzelt in unserem klassischen Musikverständnis. Rock‘n‘Roll ist eine ethnische Musik, die die Welt erobert hat. Genauso wie die elektronische Musik, die von Europa aus die ganze Welt erobert hat.

Wie haben Sie die Musik von Kraftwerk entdeckt?

Jarre Das erste Mal, als ich „Autobahn“ gehört habe, habe ich gedacht, dass muss eine kalifornische Band sein, die auf Deutsch singt und stark von den Beach Boys beeinflusst ist. Ich fand den Song damals wahnsinnig cool. Und dann erfuhr ich, dass eine deutsche Band namens Kraftwerk ist, was ich dann noch viel cooler fand.

Sind Sie nicht einsam, so alleine im Studio, umgeben nur von Maschinen?

Jarre Meine Arbeitsweise ist der eines Malers oder Schriftstellers sehr ähnlich. Man geht alleine in sein Atelier, experimentiert und schafft Neues. Daher habe ich auch das „Electronica“-Projekt genossen, denn dort habe ich mit anderen Künstlern zusammengearbeitet. So konnte ich Ideen teilen und diskutieren.

Ihr Vater Maurice Jarre hat die Filmmusik zu Klassikern wie „Lawrence von Arabien“ oder „Doktor Schiwago“ geschrieben. Warum haben Sie nie Filmmusik geschrieben?

Jarre Lange Zeit empfand ich das als das Gebiet meines Vaters. Ich habe so viele Angebote für Soundtracks abgelehnt. Vielleicht mache ich es mal, aber nur, wenn ich den richtigen Regisseur treffe.

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