Berlin "Interview" – aufgeblasenes Warhol-Remake

Berlin · Andy Warhol hätte sicherlich wenig Freude an dem deutschen Aufguss seiner legendären Zeitschrift "Interview" gefunden. 1969, ein Jahr, nachdem der Pop-Art-Künstler dem Attentat einer Frauenrechtlerin entgangen war, gründete der gelernte Werbegrafiker und spätere Weltstar die künstlerische Zeitschrift "Interview". Es war ein Hochglanzmagazin, das sich einem exzentrischen Lifestyle verpflichtet fühlte und somit als Vorbild für Hunderte heute auf dem Markt erscheinender Titel gilt.

Das soeben mit der deutschen Erstausgabe erschienene Remake dieses legendären Titels muss sich in einem gigantischen Markt behaupten, lockt freilich mit dem funkelnden Gründernamen. Doch "Interview" weicht nur wenig von dem sattsam Bekannten ab, allenfalls das übermächtige Format (32,5 mal 25 Zentimeter) sticht ins Auge und erschwert das Lesen in bequemer Haltung. Durch mehr als 50 Seiten kunterbunter Werbung muss man sich bis zur ersten redaktionellen Seite durcharbeiten; dort verspricht "Interview" einen Beitrag über Gerhard Richter in seiner Online-Ausgabe ab 9. Februar. Das ist Produktenttäuschung.

Das Herz des Magazins bestand für Warhol im Abdruck spektakulärer Interviews, mehrheitlich seiner eigenen im Studio 54 aufgenommenen Tonbandprotokolle, die damals unredigiert abgedruckt wurden: Small Talk von Szenegängern war das, in seiner Intimität und Unverfälschtheit von großem Interesse.

Dies alles ist Vergangenheit. Die Interviews von heute sind weit weniger interessant. Wir lesen eine ermüdende Auseinandersetzung mit Popsternchen Lana del Rey. Wir ärgern uns über eine Kolumne von Helene Hegemann, denn wir erfahren nicht wirklich, warum die Dramatikerin nichts mit dem Theater anfangen kann. In weiteren Beiträgen wird die Weltlage – fragwürdig verkürzt – auf den Punkt gebracht durch Einlassungen berühmten Personals. Wir finden winzige Beiträge über Mode und andere Nichtigkeiten, dazu allerlei Promitalk.

"Interview" erscheint in einer deutsch-russischen Geschäftspartnerschaft, die redaktionelle Schmiede ist in Berlin beheimatet. Das Layout dieses aufgeblasenen Warhol-Remakes zum Preis von sechs Euro ist weniger künstlerisch als unübersichtlich.

(RP)
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