Besuch im Industriemuseum Zu den Glasmachern an die Weser

Petershagen · Die Glashütte Gernheim wurde zwar schon 1877 geschlossen, doch wird sie heute als Industriemuseum betrieben. Die Geschichte des Glases zum Anfassen und Miterleben.

 Blick auf das LWL-Industriemuseum Glashütte Gernheim in Petershagen an der Weser. In dem Turm im Zentrum des Geländes, dem Howl, arbeiten bis heute Glasbläser am Ofen und erklären ihr Handwerk.

Blick auf das LWL-Industriemuseum Glashütte Gernheim in Petershagen an der Weser. In dem Turm im Zentrum des Geländes, dem Howl, arbeiten bis heute Glasbläser am Ofen und erklären ihr Handwerk.

Foto: LWL-Industriemuseum / Sebastian Cintio/Sebastian Cintio Photography

In diesem Ofen scheint die Sonne eingesperrt. Jedenfalls strahlt es so hell aus der geöffneten Luke, dass man kaum hinschauen kann, und die Hitze lodert weit in den Raum. Rasit Rejwan Toplu scheint das nicht zu spüren. Er steht dicht vor der Ofenöffnung, schiebt mit lässigem Schwung eine Stahlröhre in den gleißenden Schlund, dreht sie kurz, zieht sie wieder heraus, schwingt sie in die Höhe und setzt das kühle Ende an die Lippen. Ein kurzer Atemstoß, schon bläht sich der glühende, zähe Tropfen am Ende der Röhre zu einer rot leuchtenden Kugel. Der Glasmacher beginnt sein Werk.

Schon vor 700 Jahren enstanden an der Weser die ersten Waldglashütten, in denen aus Sand, Soda und Kalk Glas geschmolzen wurde. Wie das Glasmachen genau geschieht und wie sich die Verarbeitung vor allem mit der Industrialisierung verändert hat, lässt sich in einem reich bestückten Industriemuseum beobachten: in der Glashütte Gernheim in Petershagen. Die Hütte wurde 1812 von Bremer Kaufleuten gegründet, musste 1877 schon wieder schließen, weil dem Werk die Eisenbahn-Anbindung fehlte – ein tödlicher Standortnachteil im Industriezeitalter. Doch viele Gebäude blieben erhalten, und so hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Hütte 1998 in ein Industriemuseum verwandelt. In den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden wird nun höchst anschaulich ausgebreitet, wie sich das Glasmachen vom Kleinhandwerk, das in Waldhütten betrieben wurde, zur Massenproduktion entwickelt hat, wie sich damit auch Verpackung, Transport und Handel veränderten – und vor allem das Leben der Menschen in der Hütte.

Auch im Rheinland ist diese Geschichte bekannt, gab es in Düsseldorf doch die zeitweilig größte Glashütte der Welt: die Gerresheimer Glashütte. Noch heute kennen viele Menschen das Firmenzeichen, das gekrönte G, das in die Glaserzeugnisse aus Gerresheim geprägt wurde. Wer allerdings miterleben möchte, wie Glas geblasen, geschliffen und poliert wird oder gar selbst einmal in eine Glasmacherpfeife pusten möchte, kommt in Düsseldorf zu spät. 2005 wurde die riesige Hütte geschlossen und zu großen Teilen abgerissen. Der Förderkreis Industriepfad Düsseldorf bemüht sich um die Bewahrung des Erbes und lädt regelmäßig zu spannenden Führungen rund um das Gelände ein. Dort zeugen noch immer viele Gebäude aus der großen Glaszeit des Viertels, Häuser aus den ehemaligen Arbeitersiedlungen etwa, der Bahnhof oder die frühere Badeanstalt. Doch die eigentliche Arbeit am Ofen können sich Industriekundler in Düsseldorf nur noch vorstellen. Die Hütte in Gernheim aber, die auch einmal zum Werk in Gerresheim gehört hat, zeigt das Innenleben einer Hütte. Wer also die etwa 240 Kilometer Fahrt in den nördlichsten Zipfel NRWs auf sich nimmt, kann die industriegeschichtliche Tour dort um lebendige Eindrücke ergänzen.

Eine Besonderheit in Gernheim ist ein Gebäude in der Mitte des Geländes, das aussieht wie ein gemauerter Zuckerhut. Der sogenannte Howl wurde in England entwickelt und ist Werkhalle und Schornstein zugleich. In der Mitte des Kreisbaus steht der Ofen, an dem früher etwa 30 Glasmacher gleichzeitig arbeiten konnten. Befeuert wurde der Ofen von unten durch Kohle, die Abgase zogen nach oben direkt in den Turm ab. Heute wird der Ofen mit Gas erhitzt, ansonsten läuft vieles wie vor 150 Jahren: Glasmacher wie Toplu, der sein Handwerk in seiner Heimat Türkei gelernt, in Deutschland durch ein Studium intensiviert hat und nun im Museum eine alte Kunst lebendig hält, arbeiten wie damals auf einer hölzernen Tribüne um den Ofen. Dort blähen die Glasmacher das heiße Glas in Holzformen, die vor der Holzbühne in Bottichen schwimmen. Gewässert halten sie den Temperaturen stand. Besucher können so lange zuschauen, wie sie mögen. Außerdem bietet das Museum ein reiches Kursangebot für jene, die sich selbst in diesem Handwerk ausprobieren möchten. Dafür ist eine Anmeldung erforderlich.

 Glasmacher Rasit Rejwan Toplu arbeitet an einem Gefäß.

Glasmacher Rasit Rejwan Toplu arbeitet an einem Gefäß.

Foto: Dorothee Krings

Auch für Kinder ist das Museum gut geeignet. Nicht nur, weil sie den Glasmachern zuschauen können. Es gibt großformatige Bilderbücher an den wichtigsten Stationen des Museums, in der kindgerecht von der Geschichte des Glasmachens erzählt wird. Draußen auf dem Gelände gibt es Attraktionen wie Glasinstrumente und eine Glasmurmelbahn. Zudem ist das Museum ein Beispiel dafür, wie spannend Alltagsgeschichte ist. Ein typisches Arbeiterhaus ist etwa zu besichtigen und im Kontrast das Herrenhaus der Fabrikbesitzer. Auch die Einrichtung eines Salons der Fabrikanten ist im Museum nachgebaut. Dazu ein Lager, in dem das Gemenge für die Glasschmelze angerichtet wurde und eine Korbbinderei – für die Verpackung früherer Zeiten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort