Impulse Festival Der Blick in den Abgrund häuslicher Gewalt

Der Schwede Markus Öhrn setzt sich beim Impulse Festival in einer fünfstündigen Inszenierung mit dem Thema auseinander.

 Die letzte Eskalation häuslicher Gewalt; Szene aus dem bedrückenden Stück von von Markus Öhrn.  Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die letzte Eskalation häuslicher Gewalt; Szene aus dem bedrückenden Stück von von Markus Öhrn. Foto: Nurith Wagner-Strauss

Foto: Düsseldorfer Anzeiger/Nurith-Wagner-Strauss

Die Vorbereitung muss schrecklich gewesen sein. Der bildende Künstler und Theatermacher Markus Öhrn hat viele reale Berichte über Fälle von häuslicher Gewalt studiert, bevor er sich an sein gleichnamiges Stück, eben „Häusliche Gewalt“, setzte. Es wurde 2018 uraufgeführt und ist jetzt beim Impulse Theater Festival zu sehen.

Das Sehen wird dem Zuschauer dabei in seiner ganzen Vielfalt abverlangt – ansehen, vorhersehen, wegsehen, hineinsehen. Hineinsehen in einen Abgrund, in dem Gewalttäter das Leben ihrer Opfer verwüsten, oft genug bis zum Tod. In Deutschland stirbt jede Woche eine Frau durch die Gewalt ihres Partners, alle fünf Minuten wird eine Frau misshandelt. Berichte über diese Vergehen hängen an den Wänden, auf dem Weg zur Bühne bleibt man hängen und liest. Vorstellungsort ist das alte Capitol-Theater am Worringer Platz. Ein schöner Saal mit Stuck, einst Amüsierstätte. Heute heißt das Ganze „Die Botschaft“ und darf nur mit Ausnahmegenehmigung genutzt werden. Das raue Drumherum wandelt sich an diesem Abend ungeahnt zum Wegweiser, denn für die Besucher kommt es dicke.

Der Schwede Markus Öhrn hat sich schon in früheren Werken in patriarchalische Strukturen versenkt und sein Publikum mit in die Tiefe gerissen. In seiner ersten Regiearbeit etwa thematisierte er unerhörte Grenzüberschreitungen innerhalb der Familie. Grundlage war der Fall eines Österreichers, der seine Tochter jahrzehntelang im Keller eingesperrt und mit ihr mehrere Kinder gezeugt hatte. „Conte d’amour“, Liebeslied, war der sarkastische Titel des Stücks. Diese Mal „Häusliche Gewalt“, dieses Mal Klartext. Im Programmheft wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Zuschauer während der fünfstündigen Inszenierung jederzeit kommen und gehen können. Manche handhaben es so, einige kehren nicht zurück.

Auf der Bühne steht eine Frau in rotem Minikleid. Sie reibt sich nervös die Arme, zerrt eine Yoga-Mappe unter dem Sofa hervor und wiegt sie in ihren Armen wie einen Säugling. Ihre Konzentration reicht jedoch nur für wenige Übungen. Sie legt die Matte wieder weg. Er kommt gleich nach Hause. Prosecco und Aperol stehen auf dem Tisch, aber alle im Saal wissen, dass sich in diesem Umfeld der Unberechenbarkeit die Bedeutung von Zeichen verschiebt. Mit sommerlicher Aperitif-Stimmung ist also nicht zu rechnen.

Er und Zuhause – das schließt einander aus. Zuhause heißt Sicherheit und Zuflucht, heißt Vertrauen. Frauen, die von ihren Partnern geschlagen werden, Kinder, die von Vätern missbraucht werden, erleben ihre Traumata dort, wo ihre Festung sein sollte. In Öhrns Stück liegt sie schon lange in Trümmern. Ist der Cocktail richtig gemischt? Kichert sie zu banal? Lebt sie zu laut? Es dauert ein Stunde, dann schlägt er das erste Mal zu. Die Todesangst der Protagonistin hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits als Anspannung den Weg ins Publikum gebahnt.

Öhrn legt die Köder genial aus. Jede Nuance ist auf den Punkt traurig, brutal oder schockierend. Als er sie ohrfeigt, denkt man beinahe: Endlich! Vielleicht ist jetzt erst einmal Ruhe.

Die verstörende Dynamik des Paares jedoch nimmt ihren Lauf. Er jammert nach der Tat, sie spendet Trost. Wie Komplizen zelebrieren sie ein merkwürdiges Sich-Miteinander-Schlecht-Fühlen, während die nächste Eskalation an Fahrt gewinnt.  Er wütet schlimmer, und die Abstände zwischen den Gewaltakten verringern sich. Das ist nicht leicht auszuhalten, obwohl der Regisseur ein Netz psychologischer Mechanismen über den blanken Horror spannt.

Die unfassbar starken Schauspieler Janet Rothe und Jakob Öhrman tragen die ganze Zeit über riesige Pappmaché-Köpfe mit Gesichtern ohne jeden individuellen Zug. Sie arbeiten nicht, haben Handys, mit denen sie nicht telefonieren, bewegen sich außerhalb eines konkreten Welt-Rhythmus’. Markus Öhrn hat sie als Stellvertreter der vielen anderen Opfer und Täter angelegt und das so unpathetisch, dass es fast ein bisschen unheimlich ist, angesichts der emotionalen und ethischen Bedeutung, die das Thema birgt.

Kein einziges Wort sprechen die Darsteller miteinander. Ihre Kommunikation ist auf Lautmalerei reduziert, die Mikrofone wiedergeben. Sie sind überall. Hier ein Kichern, da ein Seufzen, ein Stöhnen. Dazu das Klavierspiel eines Pianisten. Öhrn hat einen Menschen-Soundtrack von sozialpolitischer Tragweite komponiert, dem man gerne Beifall spenden möchte. Jedoch wird das Publikum nach fünf Stunden freundlich aus dem Saal gebeten, während das Klavier weiter spielt. Die Geschichte ist ja noch lange nicht zuende.

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