Im Schloss von Walzerkönig André Rieu

Der 64-jährige Niederländer öffnete für uns das schmiedeeiserne Tor zu seinem herrschaftlichen Anwesen.

André Rieu sitzt auf einer Bank im Hof seines Anwesens. Er trägt einen knallroten Wildleder-Janker mit grün abgesetztem Stehkragen. Die Jacke sitzt perfekt, die alte Redensart kommt uns in den Sinn: passt wie angegossen. Die Ellenbogen liegen lässig auf der Rückenlehne. Was sofort auffällt: sein berühmtes Haar. Es ist an der Stirn dunkelblond, fließt lang und wellig nach unten weg, bildet an den Ohren kleine Umhänge und läuft am Nacken dunkelbraun aus.

Rieu ist entspannt. Er grinst. "Entschuldigung", sagen wir gehetzt, "aber Sie waren plötzlich weg." Wir hatten uns in Rieus Studio getroffen, unten im Industriegebiet von Maastricht, seiner Heimatstadt. "Es sind nur drei Minuten Fahrt", hatte er dort gesagt und schon so amüsiert geschaut. Er war in seinen schwarzen Mercedes gestiegen und losgefahren, um uns zu seinem Schloss zu führen. Gaspedal unten. Wir brauchten fast 20 Minuten, er nicht. Rieu lacht. "Ich fahre gern schnell."

André Rieu: Geiger. Weltstar. 64 Jahre alt. Reist seit den 1990er Jahren mit seinem Johann-Strauß-Orchester um den Globus. 50 Musiker aus zehn Nationen sind bei ihm angestellt, 120 Mitarbeiter insgesamt. Größtes privates Orchester der Welt. Verkauft jedes Jahr mehr als zwei Millionen Platten. 441 Platin-Auszeichnungen. Seine Konzerte muss man erlebt haben. Bevor man hingeht, denkt man: Kitsch. Wenn man rauskommt, lächelt man und summt. Wahnsinnsshow. Gewaltige Bühnenkulissen, Treppen, mehrstöckiges Podium. Dutzende Musiker, immer in Bewegung. "River Kwai-Marsch", "When The Saints Go Marchin' In", "Time To Say Goodbye", "An der schönen blauen Donau". Gewimmel, Walzer, großes Brummen. Alle bösen Gedanken weggeputzt.

Rieu steht auf. Hinter ihm ein Wintergarten. Darin Schmetterlinge, seltene Exemplare. Er kaufe die Puppen bei der Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn auf Schloss Sayn, verrät ein Mitarbeiter. Vor dem Gewächshaus schlängelt sich ein kleiner Graben. Darin schwimmen Kois, diese japanischen Zierfische. "Ich kaufe keine Ferraris", sagt Rieu, "aber ich leiste mir ein Schloss."

Wir hören ihm gerne zu. Er hat so eine verblüffende Art, vom Persönlichen ins Allgemeine zu kommen. Warum leben Sie in Maastricht und nicht in New York? "Da ist es doch schrecklich! Dieser Verkehr! In China gibt es Großstädte, deren Namen niemand kennt, aber es leben 17 Millionen Menschen dort. Es war ursprünglich nicht gedacht, dass wir uns so ballen." Nicken. Er hat ja Recht. Um seinen Mund stets ein spöttischer Zug. Überraschend. Nächste Frage: Sie besitzen eine der letzten Geigen, die Stradivari gebaut hat? Antwort: "Nein." Irritation. Haben wir aber gelesen, eine Stradivari von 1732. "Ich habe sie gekauft, das stimmt. Aber ich besitze sie nicht. Ich verwalte sie für die nächste Generation." Das saß. Weltmann. Er flicht englische Begriffe in seine Rede ein: "interaction", "tool". Wunderbar die Rieu-Variante des Begriffs "lachen": "einen Smile auf dem Gesicht haben." Will man demnächst auch mal verwenden.

Sein Wesen: mild. Versöhnlich. Gelegentlich mahnend. Einmal spricht er über die DDR. Schlimme Erfahrung. "Wir müssen verteidigen, was wir uns in 2000 Jahren Zivilisation aufgebaut haben." Er wolle Menschen glücklich machen. Manchmal merkt man, dass er autoritär sein kann. Geht ja gar nicht anders als mittelständischer Unternehmer. Vorspielen dauert bei ihm nur eine Minute, dann wisse er, ob ein Bewerber zur Gruppe passe. Basta. Seine Musiker müssen in Maastricht wohnen. Auf Tour gehört die Anreise zum Konzert. Das heißt: alles gemeinsam machen. Immer um 16.30 Uhr Soundcheck, danach zusammen essen, dann Auftritt, danach mit allen etwas trinken und ein bisschen reden. Feierabend. "Ich bin der Boss, aber kein Diktator." Die Musiker seien seine Familie: "Ich bin der Vater".

Nun das Schloss. Der Bau wurde 1452 begonnen. Rieu erzählt, dass der Musketier D'Artagnan hier sein letztes Frühstück einnahm. Rieu hatte in einem Zimmer ganz oben einst Klavierunterricht, die Lehrerin sei eine Hexe gewesen, sagt er. Jahre später kam er mit seiner Frau Marjorie zurück. Er sagte, so ein Schloss auf einem Hügel, das hätte er gern. Sie entgegnete, dann müsse er aber noch ein paar CDs verkaufen. "Und das tat ich dann."

Gezirkelte Idylle: Beete werden von winzigen Hecken gerahmt. Sandsteinmauern, in deren Außenseite Fans ihre Namen eingeritzt haben. Schmiedeeisernes Tor. Rieu hat alles selbst entworfen. "Ich wäre auch gern Architekt geworden." Terrasse mit Stühlen aus türkis lackiertem Metall. Zugang zur Küche. Ein langer Marmortisch. An der Wand ein gewaltiger Schwertfisch. Auf der Fensterbank eine riesige Dose Croutons. Wahrscheinlich isst Rieu gern Suppe. In den Wohnräumen Ledersofas aus Afrika auf spiegelglattem Parkett. Doofe Frage: Kann er Walzer tanzen? "Schlecht. Lasst mich lieber Walzer spielen." Blick auf Bilder, die sein Sohn malt und erfolgreich verkauft. Wandlampen, auf den Schirmen Geigen. Irre: ein Rodeo-Stier. Mintfarbene Vorhänge an goldenen Stangen. Und zwei Gemälde, die Rieu und seine Frau zeigen: Sie schaut zu ihm auf.

Die schönsten Momente sind jene, in denen Humor aufblitzt. "Ein Uni-Professor beschäftigt sich mit dem Geheimnis meines Erfolges." Wie lange schon? "Seit zwei Jahren." Haben Sie einen Tipp für ihn? "Meine Frau und ich wissen es, aber er soll es selbst herausfinden." Ob er aktuelle Musik mag? "Ja, Abba." Richtiger Zeitpunkt für eine mutige Frage: Stimmt es, dass er seine Mitarbeiter zu Fröhlichkeit verdonnert? Taffe Antwort: "Sie müssen nicht fröhlich sein, sie sind es einfach."

Ehrlich: Ein Ereignis ist es, Rieu beim Sitzen zuzuschauen. Rücken durchgedrückt, Unterschenkel parallel zu den Stuhlbeinen. Rieu unverbrüchlich. Die Hände legt er auf den Tisch – oder besser: Nur die Finger liegen auf dem Tisch, die Handflächen scheinen zu schweben. In dieser Stellung sagt er solche Sätze: "Die Geige ist ein romantisches Instrument. Man spürt sie beim Spielen. Die Geige sieht aus wie eine Frau." Dann die Frage nach jener Zeit, da er 34 Millionen Euro Schulden hatte, weil seine Tourneebühne so aufwändig war: "Nach einem Jahr war ich wieder pfffffft!" Zum "Pfffffft!" lässt er die linke Hand auf Brusthöhe kreisen und über den Kopf schießen. At the top, soll das wohl heißen. Hinter dem Haus führt eine Treppe zur Straße. Rieu geleitet uns hinab, er will sich nun verabschieden. Mittagsschlaf. Macht er jeden Tag. Steht er nicht zu stark unter Strom, um schlafen zu können? Rieu, der Macher. Er grüßt lässig einen Nachbarn und verschränkt die Arme vor der Brust. "Wenn ich liege, weiß mein Körper, dass ich schlafen muss."

(RP)
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