Oberhausen Ibsens "Volksfeind" wird zum politischem Rockkonzert

Oberhausen · Um von der Erosion des politischen Diskurses in den späten Zehnerjahren des neuen Jahrtausends zu erzählen, ziehen immer mehr Bühnen einen Klassiker von 1882 zurate: Henrik Ibsens "Ein Volksfeind". In Bochum hat ihn kürzlich Hermann Schmidt-Rahmer mit der Fratzenhaftigkeit des neuen Rechtspopulismus ausgestattet und zum "Volksverräter" gemacht. In Köln erzählt Roger Vontobel von der Macht der Demagogie. Im Theater Oberhausen hat ihn jetzt Florian Fiedler angesetzt, indem er eine gut zehn Jahre alte Inszenierung aus Frankfurt zum zweiten Mal aufkochte - nicht ohne Zutaten von heute hineinzurühren.

Noch ist das Publikum in der Ruhrgebietsstadt in der Eingewöhnungsphase mit der Theatersprache des neuen Intendanten Fiedler. Im "Volksfeind" zeigt er, dass er gern unterschiedlichste Stile mixt und Eindeutigkeit aus dem Weg geht. Seine Inszenierung trägt Züge von modernem Performance- wie von Revue- und Rock'n'Roll-Theater. Er lässt seine Darsteller pennälerhaft kalauern, comic-hafte Slapstick-Szenen oder Pantomime aufführen.

Die meisten Figuren sind so mindestens momentweise auch ihre eigene Karikatur. Den "Volksboten" machen hier zum Beispiel zwei junge Redakteurinnen: Banafshe Hourmazdi und Emilia Reichenbach sehen mit ihren Hochwasserhosen aus, als seien sie einem "Tim und Struppi"-Comic entsprungen, haben allerdings nicht so viel Rückgrat wie Hergés Held, sondern richten ihr Fähnlein nach der vermuteten Meinung der Leserschaft - man muss schließlich an die Auflage denken. Clemens Dönicke muss als Badearzt Thomas Stockmann bald einsehen, dass das Wasser der Kuranstalt verseucht ist und schneller, als er sie in die Welt rufen kann, im Spiel um Macht und Geld zum Verlustgeschäft wird.

Nach der Bürgerversammlung, dem Herz der Inszenierung, in der die Wahrheit bloß zu "seiner Wahrheit" wird, die niemand hören mag, hat er kaum Zeit zur Resignation. Auf der Bühne startet urplötzlich ein Rockkonzert mit erstaunlich guten Musikern, Sängerinnen und Sängern - Jürgen Sarkiss, der den Bürgermeister gibt, ist Frontmann.

Das anfänglich doch verwunderte Publikum lässt sich schnell mitreißen.

(mfk)
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