Festivalvorschau Machtfragen bei den Ruhrfestspielen

Recklinghausen · Die zweite Ausgabe des Festivals in Recklinghausen unter Olaf Kröck beschäftigt sich mit „Macht und Mitgefühl“. Stars wie Lars Eidinger und Sophie Rois kommen.

 Ein Abend bei den Ruhrfestspielen 2020 wird die Deutschlandpremiere von „Tao of Glass“ von Philip Glass und Phelim McDermott sein. Die Festspiele beginnen traditionell am 1. Mai.

Ein Abend bei den Ruhrfestspielen 2020 wird die Deutschlandpremiere von „Tao of Glass“ von Philip Glass und Phelim McDermott sein. Die Festspiele beginnen traditionell am 1. Mai.

Foto: Tristram Kenton

Der Intendant der Ruhrfestspiele, Olaf Kröck, mag Alliterationen. Nach „Poesie und Politik“ zum gelungenen Auftakt im vergangenen Jahr heißt das Motto seiner zweiten Saison „Macht und Mitgefühl“. „Wenn Macht das Mitgefühl verliert, wird sie zu Diktatur, Repression, Despotismus“, sagt der 48-Jährige. „Gleichzeitig werden Menschen, die Mitgefühl zeigen, heute als ‚Gutmenschen‘ diffamiert.“ Ein roter Faden im neuen Programm, das vom 1. Mai bis 13. Juni 90 Produktionen mit rund 220 Veranstaltungen zeigt, solle Kunst sein, „in der das Private politisch wird.“ Wie in seiner ersten Saison hat Olaf Kröck den Fokus der Ruhrfestspiele ein wenig von Glanz und Glamour zu Anspruch und Haltung verschoben. Große Namen finden sich im Programm trotzdem.

Schauspiel Lars Eidinger, Constanze Becker, Ulrich Matthes, Sophie Rois – das sind nur einige der Berühmtheiten, die dieses Jahr die Bühnen der Ruhrfestspiele beleben werden. Das Festival versteht sich vor allem als ein Fest des Sprechtheaters und seiner Schauspieler. Sie eröffnen mit der Deutschlandpremiere von „Tao of Glass“ (3.-6. Mai): Komponist Philipp Glass und Regisseur Phelim McDermott suchen darin mit Mitteln des Puppenspiels und der mündlichen Erzählung nach den Ursprüngen der Kreativität. Als weitere Deutschlandpremiere ist parallel (vom 4.-6. Mai) die neue Produktion der dann 95-jährigen Regielegende Peter Brook zu sehen: „Why“ ist eine Art Vermächtnis. Als Don Quijote und Sancho Panza stehen Ulrich Matthes und Wolfram Koch auf der Bühne. Jon Fosse hat diesen „Don Quijote“ (vom 8.-9. Mai) inszeniert. Intendant Olaf Kröck ist selbst gespannt auf die Neuinterpretation von „Peer Gynt“ (5.-8. Juni), die Lars Eidinger und John Bock als Koproduktion mit der Schaubühne Berlin erarbeiten. Nur eins ist bereits bekannt: Es wird auf der Bühne eine Leinwand aus Unterhosen geben.

Regisseurinnen Obwohl die neuen Ruhrfestspiele sich nicht wie etwa das Berliner Theatertreffen Geschlechterparität auf die Fahnen geschrieben haben, ist mehr Weiblichkeit doch Thema. So zeigen sie mit „The Broken Circle“ (22.-24. Mai) eine Inszenierung der Karlsruher Intendantin Anna Bergmann, die im eigenen Haus aktuell ausschließlich mit Regisseurinnen arbeitet. Sie erzählt das Drama eines Paares, das mit der Krebserkrankung der Tochter fertig werden muss, als Country-Konzert. Unbedingt empfehlenswert ist außerdem Andrea Breths Inszenierung von Yasmina Rezas „Drei Mal Leben“ (28.-30. Mai) mit Constanze Becker, August Diehl, Judith Engel und Nico Holonics. Der Abend schildert drei Variationen des Machtkampfes zweier Paare.

Literaturnobelpreisträger Beide aktuell mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Autoren spielen eine Rolle im neuen Programm: Olga Tokarczuks Roman „Die Jakobsbücher“ (21.-23. Mai) kommt in einer Theateradaption des Warschauer Teatr Powszechny, das mit sehr großem Ensemble anreist und in seiner polnischen Heimat mit der rechtsnationalen polnischen Regierung zu kämpfen hat. Aus dem Berliner Ensemble kommt außerdem das Solo „Selbstbezichtigung“ (1. und 2. Juni) aus Peter Handkes Frühwerk, das Regisseur Dušan David Pařízek mit Stefanie Reinsperger erarbeitet hat.

Tanz Zuletzt war sie im Ruhrgebiet regelmäßig als Gast von Johan Simons‘ Ruhrtriennale zu erleben: Jetzt kehrt die große Choreographin Anne Teresa De Keersmaeker mit einer spektakulären Arbeit im Ruhrfestspiele-Programm zurück. In „Rain (live)“ (3. und 4. Juni) tanzt ein großes Ensemble zu den live gespielten, pulsierenden Klängen von Steve Reichs „Music for 18 Musicians“. In verschiedenen Bearbeitungen wird Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ eine Rolle spielen: Die südafrikanische Tänzerin und Choreographin Dada Masilo hat den Klassiker als „The Sacrifice (Das Opfer)“ (20. und 21. Mai) neu geschrieben. Als Weltpremiere „Sacre“ (12.-14. Mai im Theater Marl) der australischen Gruppe Circa Contemporary Circus spielt es im Bereich Neuer Zirkus eine Rolle. Und die Herner Kompanie Renegade zeigt es als urbanes Hip-Hop- und Straßentanz-Solo „Robozee vs. Sacre“ (12. und 13. Mai in der Halle König Ludwig 1/2).

Literatur Mit Clemens Meyer hält eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur am 3. Mai die Eröffnungsrede. Im Gespräch mit Fernseh-Literaturkritiker Dennis Scheck sind unter anderem Buchpreis-Gewinner Saša Stanišić (9. Mai) und die Autorin des „Atlas der abgelegenen Inseln“ Judith Schalansky (18. Mai) zu erleben. Am 10. Mai liest Devid Striesow aus Goethes „Novelle“ über die Utopie einer gewaltlosen Welt, die nach dem Zweiten Weltkrieg wichtige Schullektüre war, und am 17. Mai Caroline Peters aus Natalia Ginzburgs berührenden Ehegeschichte „So ist es gewesen“.

Und sonst Auch im Bereich Musik (Konzerte mit Chilly Gonzales oder der WDR Big Band), Figurentheater (eine Kooperation mit dem Festival Fidena) und Kinder- und Jugendtheater haben die Ruhrfestspiele eine Menge zu bieten.

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