Porträt Die letzten klassischen Hip-Hopper

Anfang der 90er Jahre begründete die Band Blumentopf den Rap-Boom in Deutschland mit. Während viele Kollegen von damals heute Popmusik machen, sind sich die Münchener stilistisch treu geblieben. Nun erscheint ihr neues Album.

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Foto: dpa, st cs

Irgendwann haben sie die weiten Hosen und die Wollmützen ausgelagert. Haben die typischen Hip-Hopper-Gesten wie das etwas unbeholfen wirkende Fuchteln mit den Händen sein gelassen und es sich im Mainstream bequem gemacht. Fettes Brot, die Fantastischen Vier, die Beginner um Superstar Jan Delay, Max Herre, Freundeskreis - die Protagonisten des deutschen Raps, der Anfang der 90er Jahre die Charts eroberte und den urbanen Sound der US-Großstädte hierzulande etablierte, machen heute im weitesten Sinne Popmusik.

Deichkind, auch eine ehemals lupenreine Hip-Hop-Kombo, produziert nicht direkt Mainstream-Musik, sondern einen sympathisch wahnsinnigen Mix aus Rap, Pop und Techno. Klassischen Hip Hop aber, das Rappen, das Geschichtenerzählen auf einen Beat und ein Sample, hört man nur noch von einer Band aus dieser Zeit: Blumentopf.

Die letzten wackeren Vertreter der ersten deutschen Rap-Generation hatten nie den einen riesigen Hit, aber die fünf Münchener wurden bei Viva und MTV gespielt, traten auf allen relevanten Festivals auf und waren respektierte Mitglieder der Rapszene, die Quoten-Bayern unter den Platzhirschen aus Stuttgart und Hamburg. Ihre Qualität waren ebenso gewitzte wie kluge Texte, frei von jeglicher Aggression oder Gangster-Attitüde. Sie hielten das Storytelling hoch, benutzen einen Song, um die Hörer zum Nachdenken aufzufordern, etwa über die absurde Boyband-Liebe weiblicher Teenies, die sie in ihrem wohl bekanntesten Song "6 Meter 90" beschreiben.

Sie wirkten immer knapp unter der Wahrnehmungsgrenze des Massenpublikums, produzierten fleißig Album um Album, tourten durch das Land, spielten in größeren und kleineren Clubs.

Seit 1992 machen sie das, das erste Album erschien fünf Jahre später, inzwischen sind es acht neben diversen Soloprojekten der Mitglieder. Platte Nummer neun, die nun erscheint, ist eine Zusammenarbeit mit den österreichischen Kollegen Texta, sie nennen sich "TNT", also Texta und Topf. Auf Blumentopfs Homepage gibt es einige Songs im Video, sie sind im besten Sinne Old School. Obwohl die Mitglieder inzwischen alle Mitte 40 sind, tragen sie immer noch Kapuzenpullis und rappen in die Kamera, ohne dabei lächerlich auszusehen. Feiern und Kinder ins Bett bringen packen sie sie in eine Songzeile, sie sind Familienväter, die bis heute ihren Traum leben. "Wir sind ein bisschen wie das letzte Einhorn im Hip Hop", hat Bandmitglied Roger Manglus in einem Interview gesagt. In einem der neuen Songs beschreiben sich die Rapper als "classic wie der C64". Es ist richtig wohltuend, mal wieder originelle, typische Rap-Angeberzeilen zu hören, die nicht von einem wutschnaubenden Möchtegern-Gangster aus Berlin stammen: "Wir sind der Montagmorgen für die ganzen Sonntagsrapper".

Obwohl ihnen der ganz große Durchbruch bis heute nicht gelungen ist, können die fünf Bandmitglieder, vier Rapper und ein DJ, gut von ihrer Musik leben, vor allem von den Konzerten. Eine weitere lukrative Einnahmequelle ist ihre Kooperation mit der ARD, für die Blumentopf seit der WM 2006 die deutschen Spiele bei großen Turnieren mit einer "Rapportage" aufarbeiten. Das könnte schnell peinlich werden, doch die Fünf verstehen ihr Geschäft. "Wir lieben Fußball und Rap. Deshalb passt das Format perfekt zu uns", sagen sie. Der Sender wollte sie auch für Olympia, doch zu Turmspringen oder Synchronschwimmen wäre ihnen nichts eingefallen. Sie tun, was sie können und mögen, sie lassen sich auf keine Spielereien ein, die ihnen unpassend vorkommen.

In Interviews wirken sie völlig entspannt, wie Kumpels, die einfach zusammen rumhängen und ein schönes gemeinsames Hobby haben. Seit 23 Jahren geht das nun schon so, und ein Ende ist nicht abzusehen. Abnutzungserscheinungen gibt es keine, die Mitglieder treffen sich auch privat ständig.

Das Konzept Prominenz lehnen sie ab. "Wir sind keine Superstars, die auf die Bühne kommen und sagen, jetzt feiert mit uns." Sie trennen nicht zwischen sich und ihrem Publikum. Sie sind Teil einer kleiner gewordenen Gruppe, die klassischen Hip Hop in deutscher Sprache schätzt. Gut, dass es die letzten Einhörner noch gibt.

(RP)
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