Herkules auf dem Zechenturm

Eigentlich sollte die Monumentalskulptur, die der Bildhauer Markus Lüpertz für Gelsenkirchen erschaffen hat, verhüllt an ihren Bestimmungsort gehievt werden. Nun wurde das Geheimnis zwei Tage früher gelüftet als geplant.

Gelsenkirchen Schon vor sechs Wochen war Herkules im Ruhrgebiet angelangt, doch brauchte sein Schöpfer noch etwas Zeit, um ihn zu vollenden. Die auf einem Tieflader von Düsseldorf nach Gelsenkirchen verfrachteten Einzelteile mussten zusammengesetzt und an ausgewählten Stellen mit Farbe versehen werden. All das ging zügig vonstatten – und anders als geplant sogar vor aller Augen. Denn eigentlich sollte Herkules eingepackt an sein Ziel, einen Turm auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Nordstern in Gelsenkirchen, schweben und erst morgen nach Einbruch der Dunkelheit die Hüllen fallen lassen.

Dann nämlich wird THS 90 Jahre alt, ein Immobilienunternehmen im Gelsenkirchener Nordsternpark, das im Ruhrgebiet und im Rheinland rund 80 000 Wohnungen unterhält und nun zusammen mit dem Land NRW und der Stadt Gelsenkirchen den Turm zu einem Kulturzentrum ausgebaut hat. Den zwei Millionen Euro teuren Herkules hat THS allein spendiert, deren Chef Karl-Heinz Petzinka vor zwei Jahren vom damaligen Düsseldorfer Akademie-Rektor Lüpertz zum Professor ernannt worden war.

"Sie haben Ihr Ziel erreicht", kann der Navigator nun dem überlebensgroßen Herkules, seinem Schöpfer und seinem Finanzier bescheinigen. Längst allerdings ist eine Diskussion darüber entbrannt, was Herkules da oben eigentlich soll. Lüpertz selbst hat bereits Auskunft gegeben. Er will seinen Helden aus der griechischen Mythologie nicht als Denkmal der Malocher von einst verstanden wissen, sondern als Sinnbild eines neuen Anfangs im Ruhrgebiet.

Befürworter eines gewissenhaften Denkmalschutzes dagegen fragen sich, warum man ein technikgeschichtliches Wahrzeichen des Ruhrgebiets durch eine gläserne Aufstockung und dann noch durch einen aufgesetzten Riesen aus der Retorte verhunzt. Denkmalschutz sollte immer Möglichkeiten für eine neue Nutzung eines Gebäudes ermöglichen, dabei aber niemals dessen Charakter opfern, sagt man.

Lüpertz' Herkules jedenfalls ist so einarmig wie seine Mozart-Skulptur in Salzburg, und auch sonst gewinnt man bei Betrachtung des Monstrums den Eindruck, dass man der Gestalt schon häufiger begegnet ist. Ob Mozart, Aphrodite, Philosophin oder Herkules – alle ähneln einander und sind letztlich auch ein Selbstporträt ihres nimmermüden Schöpfers.

Für den Nordstern-Turm musste Lüpertz zusätzlich einen Kunstgriff anwenden: Weil man die Figur nur aus der Ferne von unten sieht, hat er sie mit einem kleinen Rumpf und einem riesigen Kopf ausgestattet, so dass sie aus der Froschperspektive betrachtet halbwegs natürliche Proportionen aufweist.

Das Ruhrgebiet hat nun also, ob es will oder nicht, ein neues Wahrzeichen. Es besteht aus 240 Einzelteilen, weist 2500 Nähte auf, wiegt 23 Tonnen, misst von Kopf bis Fuß 18 Meter und besteht aus 240 Kubikmetern Aluminium. Und es soll das auslaufende Kulturhauptstadt-Jahr krönen. Schließlich ist Karl-Heinz Petzinka, der Initiator des Herkules auf dem Dach, auch künstlerischer Direktor von Ruhr 2010.

Das westliche Ruhrgebiet stimmt in die Feier ein. Im Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum werden von morgen an 43 farbig bemalte Bronzebozzetti zu sehen sein, skulpturale Entwurfsskizzen von Lüpertz, die als Modelle und Vorstudien für den Gelsenkirchener Herkules dienten. Museums-Chef Raimund Stecker will weniger die "Einmaligkeit der Figur" herausstellen als vielmehr exemplarisch veranschaulichen, wie aus einer Idee eine Form wird.

(Rheinische Post)
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