Köln Grönemeyer auf Maloche

Köln · Beim Konzert in der Kölner Arena geriet das Publikum erst bei "Bochum" in Euphorie. Der gemeinsame Gesang mit den 15 000 Fans zauberte das Gemeinschaftsgefühl herbei, das für Grönemeyer-Konzerte unerlässlich ist.

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Foto: dpa, ped sab

Als Herbert Grönemeyer im Ruhrgebiet lebte, war dort die Staubschicht des ausgehenden Bergbaus noch zu erkennen. Die Region war bevölkert von Malochern. Auf "Dauernd jetzt"-Tourstation in der Kölner Arena startet der Deutschrocker wie ein letzter Vertreter dieser Ära. Seine Band arbeitet sich dazu mit Grubenlampen über die dunkle Bühne, Grönemeyer steht irgendwo links vorne, presst und bellt Songzeilen heraus: "Im grauen Staub / Tief im Dunkel / Kennst du dich aus".

Wie er singt, wie er Band und Publikum einpeitscht und die Hüfte schwingt, wirkt am Anfang des gut zweieinhalbstündigen Abends angestrengt, nicht locker - da hilft auch die ironische Brechung nichts. Aber so ist das eben manchmal auf Maloche. Grönemeyer versucht, Nähe aufzubauen und grüßt im ausverkauften Oval die Gäste ganz oben im Rang: "Wir arbeiten uns zu euch vor!" Und als er über seine Band spricht: "Heute arbeiten bei uns nur Kölner."

Trotz aller Kraft, Gebrüll, Gejodel, typischem Grönemeyer-Gegluckse und schweißtreibender Laufarbeit bringt der Sänger die ersten fünf Songs des aktuellen Albums nicht wirklich an den Mann. Er singt über "Unser Land", das jetzt 26 Jahre alt ist, wenn man den Mauerfall als Neugeburt rechne: "Da fängt die Mutter schon mal an zu lügen", sagt er und meint Angela Merkel.

Er bezieht auch Stellung gegen Fremdenhass, bittet sein Publikum, sich in die Situation von Flüchtlingen einzufühlen ("Feuerlicht"). Er kommentiert die grassierende Selbstdarstellung im Internet: "Uniform" heißt der zugehörige Song, und als er ihn lauthals ankündigt, erklingt nur schwacher Applaus.

Das Album "Dauernd jetzt" wurde von Publikum und Kritik zwar wohlwollend aufgenommen, aber es ist eben kein neues "Bochum" oder "Mensch". Die metaphorischen Texte gehen ihrem Autor offenbar nicht mehr so leicht von der Hand, wirken verkopft. Die Musik, die in der Kölner Arena mal wieder viel zu laut, immer an der Grenze zur Übersteuerung, zum Plärrigen abgemischt ist, besteht aus vielen Einzelteilen, die selten ein gutes Ganzes ergeben: Warum erklingt da jetzt ein halbherziges Saxofon-Solo? Warum heult jetzt die Orgel auf?

Wirkliche Euphorie kommt so erst bei den Klassikern auf: "Bochum" ist der erste Hit, und den Text samt einleitendem Steigerlied haben hier alle drauf. Das gemeinsame Singen der 15 000 Fans schafft endlich das Gemeinschaftsgefühl, das für ein Grönemeyer-Konzert unerlässlich ist - und macht die Worte des Sängers verständlich, die sonst im Soundbrei untergehen: "Jetzt kommt die beste Zeile des Abends", ruft er begeistert aus - und singt dann irgendetwas mit "Fluss". Es war wohl "Die Brücke ist breiter als der Fluss" aus dem buddhistisch anmutenden Song "Wunderbare Leere".

"Ich dauer jetzt, leb momentan / Heute mache ich mir keine Sorgen / Ich fass sie morgen wieder an", heißt es da weiter - und so geht Herbert Grönemeyer auch einen Konzertabend an. Im ausführlichen Zugabenblock steht er irgendwann am Klavier und dehnt den besonderen Moment: Er begleitet und singt die zweite Stimme zum Fangesang "So ein Tag, so wunderschön wie heute". Das Lied ist ein Stadionklassiker, und an dieser Stelle wird besonders deutlich, dass eine riesige Halle wie die Kölner Arena eigentlich noch zu klein ist für Herbert Grönemeyer. Der Steg ist zu kurz für seine impulsiven, unkoordinierten Bewegungen, die er im Helge-Schneider-Ton als "graziösen Tanz" beschreibt. Wenn er zwischen den Zeilen jubiliert, ist das manchmal so schrill und laut, dass es wirkt, als wollten die Töne die Wände sprengen, hinaus in die Welt.

Die Gegenwart, die er mit "Dauernd jetzt" in den Griff bekommen will, erreicht er paradoxerweise erst mit einem 17 Jahre alten Stück: "Bleibt alles anders" ist der letzte Song vor der Zugabe, und er ist nicht nur textlich ein wunderbares Statement für den Mut zur Offenheit, für Veränderung, für den Wandel und den Fluss (ob die Brücke über ihn nun breit ist oder nicht); "Bleibt alles anders" war auch musikalisch auf der Höhe seiner Zeit, und da sich im Pop nicht viel getan hat, sondern nur eine Retro-Welle auf die andere folgt, ist er es heute noch.

Am schönsten ist und bleibt Grönemeyer jedoch, wenn er sich im Überzeitlichen aufhält und die Liebe besingt. "Halt mich" und "Der Weg" rühren immer noch zu Tränen. Und "Flugzeuge im Bauch" funktioniert auch im neuen, entschlackten Gewand - so leicht wie die Papierflieger, die die Fans dabei um den Sänger schwirren lassen.

(RP)
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