Herbert Fritschs wildes Spaßtheater

In Köln macht der gefeierte Regisseur aus Brechts "Herr Puntila und sein Knecht Matti" eine groteske, grelle Revue. Mit seinem kühnen, krachenden Stil feiert der frühere Volksbühnen-Schauspieler Erfolge. Doch wer wegen der Stücke ins Theater geht, wird die Inszenierungen verlassen.

Köln Es ist ein bisschen, als falle eine Gauklertruppe über den ruhigen Marktplatz her: Dick geschminkt, wilde Perücken auf dem Kopf, in Kostümen wie aus der Klamottenkiste trippeln die Schausteller auf die Bühne des Kölner Schauspiels, dicht gedrängt wie eine ängstliche Herde. Doch gleich wird diese Herde auseinanderfliegen, die Bühne aufmischen, Schabernack treiben, grimassieren, tänzeln, springen, johlen, brüllen, singen mit einer Energie, wie sie in deutschen Theatern selten zu erleben ist. Brechts "Puntila" steht auf dem Programm, doch das ist zweitrangig. Hier geht es nicht um den Text, der ist streckenweise kaum zu verstehen. Es geht um die Eroberung des Theaterraums durch eine Truppe derber Hanswürste, virtuoser Theaternarren, die ihr Handwerk so glänzend beherrschen, dass ihr Spiel ganz leicht und grell und spaßig wirkt. Als sei das Leichte nicht das Schwerste.

Wenn Herbert Fritsch an einem Stadttheater Station macht, verwandelt sich das Ensemble. Fritsch treibt den Darstellern alle Reserviertheiten, alle Vorsicht aus, fordert von ihnen, die Bühne in Besitz zu nehmen "über die Rampe hinaus". Und weil die Komödie diese Direktheit, diese radikale Zurschaustellung am stärksten fordert, inszeniert Fritsch gern komische Stoffe, Molière etwa oder Goldoni. Doch genauso nimmt er sich das Ernste vor – um das Groteske herauszutreiben, brutal, mit allen Mitteln.

So hat er es mit Ibsens "Nora" am Theater Oberhausen gemacht und wurde mit dieser Inszenierung im vergangenen Jahr zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Und als sei das nicht Ehre genug, wurde gleich noch eine zweite Arbeit von ihm in die Hauptstadt gebeten: Hauptmanns "Biberpelz" am Staatstheater Schwerin. Fritschs Inszenierungen wirken ungestüm, frisch, rotzfrech. Es ist, als lade er an Provinztheatern die müden Akkus auf, entfessele die Darsteller, hemmungslos zu spielen. Dazu sind seine Arbeiten handwerklich gut gemacht, seine Anarchie ist komponiert. Es ist wohl diese Mischung aus Respektlosigkeit und Perfektion, die so für Fritsch begeistert.

Indes ist dieser wüste Spaßterror natürlich eine Geschmacksfrage. Wer an Stoffen interessiert ist, im Theater erleben will, wie Texte lebendig werden, Darsteller Rollen behaupten und darin aufgehen, der ist bei Fritsch falsch. Für ihn ist diese Art von Bühnenkunst "Lüge". Er will nicht das Leben der anderen spielen, keine Realitäten nachstellen, sondern spielend neue Realitäten schaffen. Das gelingt ihm mit seinem explosiven Klamauk. Bewundernswert, wie er den Bühnenraum im Griff hat und mit welchem Rhythmusgefühl er seine Einfälle zündet. Doch ist das zugleich enervierend in seiner "Seht her"-Pose, ermüdend in seinem Albernheits-Furor. Eigentlich hatte man doch geglaubt, dass sich diese postmoderne Inszenierwut, diese provokante Äußerlichkeit erschöpft hat. Doch von neuer Ernsthaftigkeit, modernem Purismus will Fritsch nichts wissen. In Interviews verkündet er fröhlich, dass es im Theater vor allem um die Unterhaltung gehe, um die Fähigkeit, Schwachsinn zu machen, Fratzen zu schneiden und dem Publikum so die Möglichkeit zu geben, sich von all dem Reflexionsballast, der Verkopftheit seines Alltags zu befreien.

Fritsch ist ein Volksbühnenmann. Von Anfang der 1990er Jahre bis 2007 hat er als Schauspieler an diesem Haus gearbeitet, war der liebste, frechste Anarcho-Clown von Frank Castorf. Zugleich hat Fritsch immer schon eigene Projekte verfolgt. Seit dem Jahr 2000 arbeitet er an der Verwandlung des Hamlet-Stoffes in ein Multimediakunstwerk. "hamlet_X" soll einmal in 111 kurzen Filmen vom Dänenkönig erzählen und in weiteren 111 Filmen von all den bisher unerwähnten Nebenfiguren dieses großen Stoffes. Dem Medienkünstler Fritsch widmeten die Oberhausener Kurzfilmtage vor drei Jahren eine Retrospektive, doch wirkliche Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit bekommt Fritsch nun, mit 61 Jahren, in seiner zweiten Karriere als Regisseur.

In Köln hat er ein exzellentes Ensemble zur Verfügung. Vor allem Charly Hübner schmeißt sich mit ungeheurer Wendigkeit und vollem Körpereinsatz in seine Rolle als Puntila, bis sein Anzug durchgeschwitzt ist. Michael Wittenborn gibt dagegen den stocksteifen Proletarier Matti mit Fliegerbrille und orangefarbener Uniform. Eine Revolution ist von ihm allerdings nicht zu erwarten, und auch das restliche bunte Volk auf der Bühne verspielt seine Energie damit, über das geniale Bühnenkonstrukt von Janina Audick zu turnen, das vieles zugleich ist: Achterbahn, Rutschbahn, Reling, Galeere, Showtreppe. Es macht Spaß, diesem artistischen Treiben zuzusehen, wenn man sich erst von dem Gedanken verabschiedet hat, es gehe an diesem Abend um Brecht.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort