Salzburger Festspiele Triumph der Altmeister

Salzburg · Salzburg: Frank Castorf weitet Romane von Hamsun zum Theatermarathon, Hans Neuenfels verschärft Tschaikowskis „Pique Dame“.

 Brandon Jovanovich (Hermann) und Hanna Schwarz (Gräfin) in der Premiere von „Pique Dame“.

Brandon Jovanovich (Hermann) und Hanna Schwarz (Gräfin) in der Premiere von „Pique Dame“.

Foto: dpa/Barbara Gindl

Die Salzburger Festspiele gelten als glanzvolles Klassik-Festival für Kulinariker. Dabei gab es immer schon auch ästhetische Unterströmungen, Sperriges und viel Neutönendes an der Salzach. Seit Markus Hinterhäuser das Intendanten-Zepter übernommen hat, ist der Wille zur auch anstrengenden Kunst aber wieder deutlicher zu spüren als in den Jahren zuvor.

Auf harten Sitzbänken auf der Perner-Insel fordert nun Frank Castorf dem Festspielpublikum mit seiner Adaption von Knut Hamsuns Romanen „Hunger“ und „Mysterien“ grausame sechs Stunden ab. Erst um kurz vor halb eins morgens bricht sich bei den Verbliebenen – es gibt zahlreiche Abwanderungen – erschöpfter Jubel Bahn. In einer Endlosschleife hat Castorf erneut Romanstoff durch seinen Dekonstruktions-Reißwolf gejagt, neu verquirlt und üppig angereichert mit bewährten Mitteln: den sich entäußernden und zugleich Ironie-gestählten Schauspiel-Stars seiner gloriosen Volksbühnen-Mannschaft, dem suggestiven Einsatz von Musik zwischen Schubert, Hawaii-Film und Freejazz und raffiniert arrangierten Live-Filmeinspielungen.

Mit Knut Hamsun knöpft Castorf sich einen heiklen Romancier vor, der den Nazis nahestand, Hitler verehrte und später für sein Mitläufertum hart belangt wurde. Im titelgebenden „Hunger“ irrt ein mittelloser Journalist hungernd durch Oslo, in „Mysterien“ trägt der reich gewordene Protagonist einen kanariengelben Anzug und ist nun nicht mehr auf der Suche nach Eßbarem, sondern nach Liebe und Sinn.

Aleksandar Denic hat auf die Drehbühne ein genial verschachteltes Holzhaus gebaut, das eine muffige Dachwohnung, ein Schreibbüro, eine Veranda und eine McDonald’s-Küche und eine große Leinwand zur Übertragung der Live-Videos bietet. Das Ganze ist garniert mit Nazi-Verweisen, wie etwa dem Schriftzug der Germanske SS Norge oder einem „Carlsberg“-Schild mit Hakenkreuzen. „Swastika, Swastika!“ kreischt dann auch gleich zu Beginn Marc Hosemann, der als Hungernder hetzt, kriecht, schreit und versucht, seinen eigenen Zeigefinger zu verspeisen. Später teilen sich alle weiteren sieben Darsteller die Identität des „Mysterien“-Helden und sprechen gelegentlich mit sich selbst im Konjunktiv. Castorf betreibt eine Art orgiastische Teufelsaustreibung, die Hamsun keineswegs rehabilitiert, aber ihn hochinteressant macht für weitere Erkundungen des Subkutanen.

Tags darauf dann im Großen Festspielhaus Hans Neuenfels’ angeblich letzte Regietat, Tschaikowskis selten gespielte „Pique Dame“. Kurz vor der Premiere ist Neuenfels allerdings vom Rücktritt zurückgetreten, er wird also weitermachen. Christian Schmidt hat ihm einen schwarzen Raum gebaut, der nicht viel mehr als ein Rahmen mit komfortablen Durchgängen an der Seite ist.

Die Geschichte des mittellosen Hermann, der die mit dem reichen Fürsten Jelezki verlobte Lisa liebt und das fehlende Geld am Spieltisch gewinnen will, erzählt Neuenfels als Collage mit harten Brüchen. Das radikal und unbedingt liebende Paar steht einer uniformen Masse Angepasster gegenüber, deren limitiertes Gesten-Vokabular Neuenfels militärisch mechanisiert. Reinhard von der Thannens Kostüme spitzen diesen Gedanken grotesk zu, hängen Kanonenfutter produzierenden Müttern riesige Brüste um, stecken die Chorherren in lächerliche Schwimmanzüge und stopfen Röcke mit bizarr verschachtelten Hinterteilen aus. Zwischen den Welten die greise Gräfin mit Libertinage signalisierender roter Perücke und rosa Strümpfen zum Minikleid.

Grandios taktet Neuenfels die Szenenwechsel, es grenzt an ein handwerkliches Mirakel, wie er riesige Chor-Tableaus nahtlos in psychologisch bis ins Letzte ausgefeilte intime Szenen übergehen lässt. Dabei hört er vor allem auf die Musik: jeder Blick, jede Geste, jede Bewegung ist motiviert und beglaubigt durch Tschaikowskis soghafte Musik, was dem ganzen Abend mustergültige Klarheit und Triftigkeit verleiht.

 Marc Hosemann in Knut Hamsuns „Hunger“.

Marc Hosemann in Knut Hamsuns „Hunger“.

Foto: AFP/BARBARA GINDL

Am Pult der Wiener Philharmoniker agiert Mariss Jansons als Neuenfels’ Partner auf Augenhöhe und Motor des Dramas. Die Wiener Philharmoniker klingen transparent, trennscharf, mit ganz frei klingender Eigeninitiative und leidenschaftlich bis an der Grenze zum Exzess. So aufregend hörte man Tschaikowski selten. Gelegentlich wird es richtig laut, aber das famose, fast durchweg russische Sänger-Ensemble behauptet sich. Heraus ragen Brandon Jovanovich als selbstzerstörerischer Hermann, eine Entdeckung ist der balsamisch Bariton von Igor Golovatenko in der Rolle des Fürsten Jelitzki, Evgenia Murarveva singt die Partie der Lisa mit loderndem Sopran und Hanna Schwarz ist eine markante, erstaunlich stimmfrische Gräfin. Ovationen, einzelne Buhs für Neuenfels. Ein großer Wurf.

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