Leipzig Gute Argumente für das Kulturgut Buch

Leipzig · Positive Signale von der Leipziger Buchmesse: Die Nachfrage nach Lesestoff ist ungebrochen, das Frühjahr beginnt mit einem Zuwachs von 1,7 Prozent. Junge Autoren erzählen wieder üppige Familiengeschichten und nehmen die soziale Wirklichkeit in den Blick.

Die alte Dame mit dem lilastichigen Haar hat Casanova verführt. Das bekennt sie sachte lächelnd auf einem neuen Plakat, mit dem der deutsche Buchhandel künftig für das Fantasie-Abenteuer Buch wirbt. Drei Jahre lang sollen großformatige Motive dieser Art in der gesamten Republik Menschen dazu animieren, sich lesend in Traumwelten zu begeben. So will die Branche neue Schichten für das alte Medium Buch gewinnen. Zum Auftakt der Leipziger Buchmesse hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die neue Kampagne vorgestellt; die Branche glaubt an die Kraft des geschriebenen Wortes und möchte das verkünden im ganzen Land.

Außerdem hatte der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, Alexander Skipis, zu Messebeginn positive Zahlen zu verkünden. Der Buchhandel ist mit einem leichten Wachstum von 1,7 Prozent ins Frühjahr gestartet. 2012 erzielte er einen Umsatz von rund 9,6 Milliarden Euro. 1,4 Millionen Titel wurden verkauft, 90 000 Neuerscheinungen kamen auf den Markt. Das Kulturgut Buch lebt – und zeigt enorme Vielfalt. Vor allem Reiseführer (plus 6,6 Prozent), Ratgeber (plus 4 Prozent) und Belletristik (plus 2,9 Prozent) legten zu. "Die Zahlen beweisen, dass das Buch fest verankert ist in der deutschen Kultur", sagt Skipis. Die Nachfrage nach Inhalten, nach der Erzählstruktur, nach dem "Prinzip Buch" sei ungebrochen.

Solche Formulierungen verraten allerdings, dass die Branche Veränderungen durchmacht. Aus dem Buch ist das "Prinzip Buch" geworden. Es geht es also um eine bestimmte Lesehaltung: Menschen nehmen sich Zeit für einen Text, lassen sich von ihm davontragen, das leisten Bücher, egal ob gedruckt oder elektronisch. Das E-Book verzeichnet rasante Zuwächse – noch allerdings auf sehr niedrigem Niveau. In Deutschland kommen elektronische Bücher bisher nur auf zwei Prozent Marktanteil. Das ist zwar eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr, jedoch nur als Tendenz relevant. Anders als etwa in den USA hängen die Deutschen anscheinend am gedruckten Wort, wollen weiter Papier in Händen halten, das man fühlen, durchblättern, riechen kann.

Trotzdem spricht die Branche auch in Leipzig viel über E-Books, denn sie bergen das Potenzial, den Markt zu verändern. Sie sind günstiger, lassen sich schnell im Internet herunterladen – und bringen neue Autorentypen hervor. Schließlich ist es nicht teuer, ein E-Book zu produzieren, also bringen immer mehr Schreiber ihre Werke selbst heraus, umgehen die Hürde – und die Qualitätsinstanz der Verlage.

Die müssen auf einem immer schnelleren und härter umkämpften Markt bestehen. Geraten also unter Druck, wollen sie sich weiter manche Liebhaberei leisten, die der deutschen Kultur doch schon so oft bedeutende Werke beschert hat. Auch der Buchmarkt erlebt also die Spannung, einerseits ein Markt zu sein wie jeder andere; andererseits ist das Buch aber gerade kein Produkt wie jedes andere, sondern ein Kulturgut. Das aber will entdeckt und gepflegt werden.

Mit dieser Spannung kämpfen auch die traditionellen Buchhändler. Noch gibt es genug Kunden, die den Sachverstand eines Fachhändlers schätzen und sich lieber von ihm beraten lassen, als sich von Rechenmaschinen im Internet Bücher empfehlen zu lassen, die einfach nur so ähnlich sind wie bereits gekaufte Titel. Doch haben Online-Großhändler im Internet längst Seiten eingerichtet, auf denen Leser einander Bücher empfehlen.

Und Kunden trauen dem Urteil anderer Kunden, das zeigt sich auch in anderen Branchen. Buchhändler müssen sich also auf das Bequemlichkeitskalkül ihrer Kunden einstellen und ihre fachliche Kompetenz hervorkehren.

Auch dazu hat der Börsenverein die neue Kampagne entwickelt. Auf dem Plakat mit der charmanten Casanova-Leserin ist etwa zu lesen: "Wenn es um Liebe und Erotik geht, kennt dein Buchhändler vor Ort sich bestens aus." Das klingt ein wenig bieder. Doch scheint dieser Hinweis notwendig geworden zu sein, denn Alexander Skipis musste in Leipzig auch eine negative Zahl verkünden: Der Anteil des traditionellen, sogenannten stationären Buchhandels am Gesamtumsatz der Branche ist geschrumpft. 2012 lag er bei 49,5 Prozent, das ist ein Rückgang um 3,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Internet-Händler liegen bisher allerdings auch nur bei 17,8 Prozent, der Rest verteilt sich auf andere Anbieter wie etwa Fachverlage, die direkt verkaufen.

Die Leipziger Buchmesse ist nicht nur eine Wirtschaftsmesse, sondern vor allem ein Lesefest, bei dem sich erkunden lässt, was deutsche Schriftsteller derzeit bewegt. Etwa die fünf Autoren, die für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse nominiert sind, der heute Nachmittag vergeben wird. Gleich zwei große erzählerische Versuche sind darunter: Der Bremer Autor Ralph Dohrmann schildert in seinem 900-Seiten-Debütroman die Geschichte des jungen Willem, der als Erbe der Maschinenstickerei "Kronhardt & Sohn" im Nachkriegsdeutschland aufwächst. Auch der Berliner Journalist Birk Meinhardt erzählt in "Brüder und Schwestern" eine Epochen- und Familiengeschichte, siedelt diese aber in der DDR an. Beide Werke sind pralle Stoffe, wirken wie Bekenntnisse zur üppigen Erzähltradition in der deutschen Literatur – gute Argument für das Kulturgut Buch.

(RP)
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