Grimmelshausen – eine Sensation

Nach dem "Simplicissimus" gibt es jetzt auch die barocken Romane über den Dreißigjährigen Krieg neu. "Courage" und der "Seltsame Springinsfeld" wurden behutsam ins heutige Deutsch übertragen. Begeisterung gab es bei der ersten Präsentation in Geisenheim.

Geisenheim Kein zweiter Ort wäre für jene Buchtaufe trefflicher gewesen als dieser: die tiefen Gewölbe der Geisenheimschen Sektkellerei Bardong. Viel Volk war gekommen, um bei Kerzenschein und frischem Rheinwein vom abenteuerlichen Leben der Courage zu hören – der schlauen Marketenderin, die auch das Schwert zu führen wusste und manchem Gegner den Kopf abschlug, die Soldatenhure und siebenmalige Ehefrau, die zuletzt sogar Zigeunerkönigin wird.

So was zieht die Leut' noch heute an, Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg, aufgeschrieben vom großen Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1621/22–1676). Barockliteratur als Bestseller, darüber durfte man schon im vergangenen Jahr staunen, als der erste Grimmelshausen ins heutige Deutsch übertragen wurde: Die 10 000 Exemplare der Eichborn-Prachtausgabe vom "Abenteuerlichen Simplicissimus Deutsch" waren in Windeseile vergriffen und wurden alsbald im Internet für den achtfachen Ladenpreis verhökert. Die nachfolgende Erfolgsausgabe fand dann noch über 40 000 Käufer.

Das ist natürlich dieser saftigen Weltliteratur geschuldet, aber auch der hohen Kunst des Übersetzers Reinhard Kaiser, in Viersen an der Niers geboren und seit etlichen Jahren sein Schriftstellerhandwerk in Frankfurt am Main treibend. Und jetzt zwei nachfolgende Romane des Grimmelshausen – die Courage und der "seltsame Springinsfeld". Geschichten, die einen verstummen lassen, so prall sind sie mit Leben, Lust und Mord gefüllt.

Dieser Zeit zu begegnen – mit Grimmelshausen als kundigem Führer – ist ein wahres Abenteuer. Und geschmückt wird es von dieser unglaublichen barocken Sprachkraft, der auch durch Kaisers feine Eingriffe das Funkeln nicht abhandenkam. Wie etwa aus dem Munde der Courage selbst Heikles oder Delikates die Worte findet, ist schlichtweg ein Erlebnis: "Es ging mit uns, wie wenn ein Taubenzüchter einen Tauber und eine Taube zusammensperrt, damit sie sich paaren, und die beiden sich anfangs lange abmühen, bis sie schließlich handelseinig werden."

Im Leben der Courage eilen die Goldtaler herbei und fliegen bald wieder davon, gute Männer weiß sie an ihrer Seite, die gehängt oder im Krieg ermordet werden – das kleine Leben wird zum Spiegel einer ungewissen, blutigen Zeit.

Aber Grimmelshausen war kein Historiker, sondern Schriftsteller. Und er war so modern, dass unseren Autoren vor seinem Werk heute noch die Knie weich werden. Erinnern wir uns: Als Simplicissimus seinen schelmischen Lebensbericht verfasst, sitzt er auf einer Südseeinsel – und bleibt auch dort. Nur sein Manuskript übergibt er einem Kapitän. Als Erzähler für eine Fortsetzung kommt er also nicht mehr infrage.

Ein neuer Erzähler muss her, der sich mit Philarchus Grossus von Trommenheim auf Griffsberg findet und hinter dem kein anderer als Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen selbst steckt, diesmal nur in anagrammatischer Buchstabenverdrehung. Der lauscht nun der Lebensgeschichte der Courage, um – wie es gleich zu Beginn heißt – "den allseits bekannten Simplicissimus zu verdrießen und zu ärgern". Denn: Alle Romanfiguren kennen die Grimmelshausen-Werke und spielen samt Autor ihr tolles Spiel.

Das wird noch wahnwitziger beim nachfolgenden Roman über den wunderlichen Springinsfeld, den Gaukler, der bereits in früheren Werken seine Auftritte hatte. Es beginnt mit dem vergeblichen Versuch des Erzählers und Autors, eine Anstellung als Schreiberknecht zu finden. Zum Trost sucht er ein Wirtshaus auf (derlei Kompensationshandlungen sind unter Autoren noch heute geläufig), trifft dort auf seinen neuen Helden Springinsfeld wie auf einen langbärtig geratenen Indien-Heimkehrer, eben Simplicissimus. Und die Drei zitieren nicht nur aus früheren Büchern – mit exakten Kapitelangaben –, sie ziehen nun auch gehörig über die Courage aus dem letzten Roman her und nennen sie "Bluthexe" und "Teufelsvieh". Auch muss Simplicissimus jetzt erfahren, dass die Courage ihm im früheren Buch ein gemeinsames Kind nur untergeschoben hat. Ein Spiel der Fiktion, das bereits im 17. Jahrhundert keine Zügel mehr zu kennen scheint.

Die Welt der gedruckten Bücher war also schon im Barock ein Acker mit tiefen Furchen, Fallgruben und Stricken. Fast 400 Jahre ist das her, und die frommen Zechbrüder im Keller zu Geisenheim ahnen, dass sie Zeugen einer spektakulären Buchtaufe sind. Geschichten voller Wahn- und Irrsinn, Lug und Trug. Und ist nicht gerade eben die Courage selbst dem steinernen Treppenturm im Weinkeller hinaufgehuscht?

Heute kommen Erfolgsausgabe und die limitierte Schmuckausgabe gleichzeitig in den Handel. Die Leut' im Gewölbe aber langen am Büchertisch so zu, als finde sich schon morgen in teutschen Landen kein einziges Blatt Papier mehr, auf dass sich so Wundersames drucken ließe.

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