Griechenland-Krise als Krimi

Athen So schnell war Literatur bisher nur selten; und damit sie noch schneller wird, hat ihr der Verlag auf die Sprünge geholfen: So zog Diogenes jetzt die Veröffentlichung des neuen Krimis von Petros Markaris von Ende September auf Anfang Juli vor, so dass parallel zur Debatte um die Rettung Griechenlands in ein paar Tagen schon ein Roman zur Finanzmisere vorliegen wird. "Faule Kredite" heißt der, in dem Kultkommissar Kostas Charitos – von seinen Fällen gibt es bereits acht Krimis in deutscher Übersetzung – den Morden an Finanzmanagern in Athen nachgeht. Doch immer wieder werden seine Ermittlungen behindert, weil fast überall Demonstrationen gegen die Sparpläne der Regierung den Verkehr lahmlegen. Dabei geht der 74-Jährige keineswegs schonend mit seinen gebeutelten Landsleuten um.

Ihre letzte Buchveröffentlichung war die Übersetzung von Faust I und II ins Griechische. Damit sind Sie auch ein Experte für alles Übermäßige. Hat die Finanzkrise in Griechenland auch etwas Faustisches?

Markaris Die politische Klasse der Griechen übernimmt ganz gerne die Faust-Rolle. Den Mephisto allerdings weisen sie immer schnell von sich ab.

Was heißt das?

Markaris Na ja, es kommt eben immer zum Vorschein, dass zwei Seelen in ihrer Brust schlagen. Zum einen wollen sie dem Volk alles versüßen, zum anderen liebäugeln sie mit rigorosen Sparmaßnahmen. Sie ringen mit zwei Welten.

"Faule Kredite" mit seinen 400 Seiten müssen Sie ja ungeheuer schnell geschrieben haben.

Markaris Ich habe ja bereits in meinem Roman "Live!" im Umfeld der Olympischen Spiele in Athen angedeutet, dass ich schon damals große Angst vor den griechischen Kreditaktionen hatte, mit denen die Olympischen Spiele realisiert werden sollten. Damals habe ich gesagt: Das wird schiefgehen, und wir werden weiter auf Kredit leben. Irgendwann, da war ich mir sicher, kommt das Desaster. Und wenn die Krise da ist, muss man auch als Schriftsteller vorbereitet sein. Als es um die ersten Kredite der Europäischen Union ging, hatte ich darum schon den Entschluss gefasst, eine Trilogie über die Krise zu schreiben.

"Faule Kredite" ist also erst der Auftakt einer großen Finanzkrisen-Saga?

Markaris Mir war klar, dass es mit einem Roman nicht getan sein wird, weil ich ahne, dass es länger dauern und schlimmer werden wird. Ich bin dann das Risiko eingegangen, den Roman über die Krise schon zu Beginn der Krise zu schreiben. Das ist nicht ungefährlich, weil es ja doch eher eine journalistische Arbeit ist. Darum habe ich auch versucht, mehr über die Konsequenzen dieser Krise zu schreiben. Gerade bin ich dabei, den zweiten zu schreiben. Aber wenn ich jetzt alles lese, was sich zwischen der EU und Griechenland abspielt, werde ich wohl glücklich sein, wenn aus den geplanten drei Romanen nicht noch vier werden.

Nehmen Sie denn selbst an den Protesten und Demonstrationen in Athen teil?

Marakaris Nein! Ich verstehe die Leute ja. Die Mittelschicht in Griechenland muss immer für alles geradestehen; das ist verheerend und schlimm. Andererseits kann ich nicht mit Leuten demonstrieren, die sagen, die Junta von 1973 geht jetzt weiter. Diese Übertreibungen helfen keinem.

Sie sprechen in dem Roman Ihre Landsleute keineswegs von Schuld frei. So heißt es, dass viele ihr Grundstück verkaufen, um sich den neuen Jeep Cherokee kaufen zu können . . .

Markaris Das ist die pure Wahrheit! Und das haben sie schon jahrelang so gemacht. Die Leute haben den Acker des Opas verkauft, um sich so einen monströsen Cayenne anzuschaffen.

Wie ist denn der Kriminalroman bei den Betroffenen, Ihren Landsleuten, angekommen?

Markaris Im Grunde sehr gut, auch wenn es kritische Stimmen gab. Sicher, man kann darüber streiten, ob die EU das Problem mit Griechenland richtig angegangen ist. Aber man kann als Grieche nicht sagen, dass diese Krise nicht hausgemacht sei.

Vielleicht ist es noch spannender zu erfahren, wie denn der Roman bei den griechischen Bankern angekommen ist; immerhin werden in Ihrem Krimi vier von ihnen mit dem Schwert enthauptet.

Markaris (lacht) Ein Freund von mir, der Bankmanager ist, hat zu bedenken gegeben: Wenn das Schule macht, dann sind wir wohl verloren.

Es gibt auch einige Differenzen zwischen Griechenland und Deutschland. Und darum zuckt man als Leser unwillkürlich zusammen, wenn man erfährt, dass Ihr Serientäter als eine Art Bekennerschreiben am jeweiligen Tatort einen Zettel mit dem Buchstaben "D" hinterlässt.

Markaris Keine Sorge: Das steht nicht für Deutschland. Das kann ich allen Lesern garantieren.

Wie wird es denn mit Ihrem Land weitergehen?

Markaris Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die nächsten drei Jahre eine schwierige Zeit werden.

Erkennen denn auch Ihre Landsleute den Ernst dieser Lage?

Markaris Ich wäre glücklich, wenn sie nicht aufhörten zu protestieren. Aber ich wäre noch glücklicher, wenn sich die Menschen bewusst wären, was das Land noch erwartet. Es ist immer gut, wenn man vorbereitet ist. Wer es nicht ist, den treffen die Maßnahmen jedes Mal wie Ohrfeigen. Das ist momentan aber leider der Fall.

In Ihrem Roman gibt es bei der Aufklärung der vier mysteriösen Fälle eine Verbindung von Finanzskandal und griechischem Dopingskandal in der Leichtathletik. War die griechische Wirtschaft nach dieser Lesart lange Zeit gedopt?

Markaris Die Griechen sind in den vergangenen zehn Jahren regelrecht gedopt worden. Man hat bei den Griechen den Eindruck erweckt, dass alles prima laufe und jeder so viel Geld bekommen könne, wie er will. Ich nenne das Doping. Die ganze Finanzwelt war aufgeputscht – und sie ist es bis heute.

(RP)
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